Risotto Mit Otto
Doch dann war wider Erwarten alles total unspektakulär.
» Bellissima, konnte leider nicht länger warten. Ruf mich bitte an. Bussi, Ben«, stand auf dem Zettel.
Ich las die Zeilen einmal, zweimal, dreimal. Nichts. Keine Reaktion. Ich horchte in mich hinein, wartete auf die Enttäuschung. Auf die Tränen. Immerhin hatte ich den ganzen Tag auf dieses Date hingefiebert, hatte mich halb verrückt gemacht, hatte Otto angelogen und nicht zuletzt eine unglaublich miese Show abgeliefert. Doch es wollte sich einfach nichts regen. Es war, als beträfe das alles die Frau in dem roten Mantel, die gerade neben mir auf den S-Bahn-Eingang am Marienplatz zulief. Es war, als wäre eine riesige Seifenblase geplatzt, nur interessierte es mich nicht. Es war, als wäre in China der sprichwörtliche Sack Reis umgefallen.
Gab’s so was?
Immerhin hatte ich mich wegen dieses Mannes wochenlang verrückt gemacht. Hatte kostbare italienische Tränen vergossen. Mir die Nerven ruiniert. Eine andere Frau neben mir geduldet, auch wenn sie angeblich nur auf irgendeinem Papier existierte. Geflucht und gehofft und gebangt und gebetet. Wofür eigentlich? Für einen Typen, der nicht mal eine Stunde auf mich wartete? Das war kein Mann für mich! Nicht nur deswegen, sondern vor allem, weil mir mit dem Schlag ins Gesicht, den er mir gerade verpasst hatte, klar war, dass Ben aus nichts als Fassade bestand. Er sah toll aus, war gepflegt, hatte nur exklusive Markenkleidung an, wusste sich perfekt zu benehmen und machte einer Italienerin mehr als würdige Komplimente – aber sonst? War er überhaupt aus Fleisch und Blut oder nur eine topgestylte Schaufensterpuppe? Kam da was rüber? An Wärme? Gefühl? Irgendwas?
No!, lautete die ehrliche Antwort. Und da ich schon mal bei der Wahrheit angekommen war, durfte ich mir auch noch gleich selbst eingestehen, dass ich bisher nicht viel anders gewesen war. Ich stand nicht umsonst auf solche Typen. Doch gab es nicht viel mehr?
Lass ihn ziehen, sagte ich mir. Er hat dir ohnehin nicht gutgetan. Und sensationellen Sex kann man auch mit anderen Männern haben. Nicht gerade mit Friedrich, aber mit solchen wie Otto vielleicht … Wieder verspürte ich beim Gedanken an meinen allzeit bereiten Retter einen schmerzhaften Stich.
Wie ferngesteuert fuhr ich erst die Rolltreppe ins Zwischengeschoss und dann weiter zum Bahnsteig hinunter, ohne auf die Menschen um mich herum zu achten. Völlig in Gedanken versunken, stieg ich in die nächstbeste S-Bahn, die einfuhr, und merkte erst, dass es nicht die S 7 war, als ich durch die verschmierte Scheibe ein Schild mit der Aufschrift »Laim« entdeckte. Hektisch sprang ich auf und schaffte es gerade noch, aus der S-Bahn zu hechten, ehe sich die Türen schlossen.
»Nicht schon wieder«, murmelte ich vor mich hin und ging einmal durch die Unterführung auf die andere Seite, um zurück zur Donnersberger Brücke und von dort mit der richtigen Bahn weiter nach Sendling zu fahren. Ich hatte irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft mir das schon passiert war, aber da war ich nicht die Einzige. Isabelle und – man staune – auch Friedrich konnten mir da durchaus das Wasser reichen, wenn sie das nicht nur behauptet hatten, um mich zu trösten, wovon zumindest bei meinem Mitbewohner nicht auszugehen war.
Zu Hause angekommen, fiel mir ein, dass ich die Tasche am Bahnhof vergessen hatte. Egal, ich würde sie morgen abholen, die zwei Euro, die ich dafür investiert hatte, sicherten mir das Fach ja für vierundzwanzig Stunden.
Als ich am nächsten Morgen etwas später als sonst aufstand, wegen der Semesterferien musste ich ja nicht zur Uni, hatte ich neben einer SMS von Vale auch eine Nachricht von Ben auf meinem Handy. Nachdem ich meine Brille, die in der Nacht wohl selbständig unters Bett gekrochen war, endlich gefunden hatte, las ich seine Worte: »Hallo, bellissima, tut mir sehr leid wegen gestern. War ein Notfall. Ich hole dich heute Abend ab und führe dich fein aus, ja? Hab einen Tisch im Tantris bekommen, da willst du doch schon so lange hin. Mach dich hübsch für mich! Bussi, Ben.«
»Mach dich hübsch für mich!«, las ich die letzte Zeile in verächtlichem Tonfall laut vor. »Davon kannst du in Zukunft träumen.« Ich musste grinsen bei dem Gedanken daran, dass ich genau diesen Satz vor vier Monaten noch total süß gefunden hätte. Nun kam er mir nur noch albern vor. Und das mit dem Tantris … Nun, ich würde hoffentlich bei Gelegenheit einen anderen Mann finden, der
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