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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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eigenen Lumpen nicht mehr bedecken konnte, sich etwas anderes hören ließe, eine schwächere Stimme, aber eine kristallklare.
    Die Mystik, die wie die allerschwächste Flöte vom Beginn des Dezenniums an zu hören gewesen war, in den Seminaren der Logik verirrt, wie die Erkennungsmelodie einer Radiostation vom Rauschen starker Störsender über stacheldrahtbeladene Grenzzonen hinweg gestört, in unklarem Eklektizismus verwaschen und verdreht, im dummen derben Marktgeschrei der Happeningkunst ertrunken, von neubekehrten Pamphletisten in blindem Eifer mit einem Achselzucken abgetan, diese Musik verschaffte sich zu guter Letzt auf seltsame Weise Gehör.
    Nicht umsonst hatten Traum und Wirklichkeit einander einen Augenblick lang berührt, nicht umsonst war einen Augenblick lang das Unwirkliche in unserer eigenen Welt (stinkender Rauch, tote Augen, Bombergeschwader, der Höllenlärm der Fabrikhallen) deutlich hervorgetreten und hatte sich eine andere, eine kommende Welt als die wirkliche abgezeichnet.
    Im Frühjahr 1969 malt Ulla Viggen ihr liebevolles und seltsames Porträt des jungen Poeten Peter Cornell.
    Der Porträtierte ist auf diesem Bild bleicher und introvertierter, als er in Wirklichkeit erscheinen mag.
    Seine Augen sind geöffnet. Er hat einen Gesichtsausdruck wie jemand, der gerade sehr nahe daran war, sich an etwas zu erinnern, das er schon so vollständig vergessen hatte, daß er sich nicht entsinnen kann, es vergessen zu haben.
    Im Hintergrund taucht ein sehr blaues, ganz endloses Meer auf, von einer unsichtbaren Sonne beschienen.
    In diesem Bild offenbart sich die neue Stockholmer Malerei zum ersten Mal ganz und gar, wird sie in all ihrem Botticellischen Glanz sichtbar. Helligkeit, Liebe, offenes Meer.
    Die sechziger Jahre waren zu Ende gegangen. Und ich? Von welchem Beobachtungsposten aus, auf welcher Walstatt hatte ich diese Kämpfe mit angesehen?
    Von der Kulisse aus. Wie die Artisten unter der Zirkuskuppel: ratlos.

Ein Privatmann, nicht besonders erfolgreich,
am Ende der sechziger Jahre
     
    Der Herr, den E. mit seinen kalten, klugen, eisblauen Augen immer noch aufmerksam betrachtete, stand nach wie vor unschlüssig, von seinen Taschen umgeben, in dem großen, weißen Eßzimmer des Hauses.
    Sein Haar war noch zerrauft von Johanna Beckers sommersprossiger, mütterlicher Hand.
    Als nun der Duft von starkem Tee und getoastetem Brot ihn erreichte, breitete sich ein Ausdruck zögernden Glücks auf seinem Gesicht aus; er legte den grauen Mantel und den rotbraunen Schal ab.
    Ein landendes Flugzeug glitt in geringer Höhe über die Hausdächer hin und brachte für einen Augenblick die Fensterscheiben zum Klirren.
    (Tatsächlich wiederholte sich dies alle zehn Minuten in dem Haus an der Fregestraße, und es verlieh allen Gesprächen, die dort geführt wurden, einen willkürlichen, aber nicht einseitigen Charakter. Einige Argumente, und man wußte im voraus nie, welche, waren von vornherein dazu verurteilt, in dem majestätischen Dröhnen der landenden Flugzeuge unterzugehen.)
    Die runde Brille mit der braunen Fassung war am 13. Dezember 1963 in Turin gekauft worden.
    Er war eher klein als hochgewachsen. Aber trotz seiner Kleinheit und seiner auffallenden Magerkeit – eine intimere Betrachtung hätte enthüllt, daß alle Rippen deutlich zu spüren und zu zählen waren, sogar auf dem Rücken – war er bemerkenswert muskulös. Seine breiten Handgelenke und die großen kräftigen Hände machten ihn zu genau der Person, die jeder gern zur Hand hat, wenn Glaskonserven mit allzu fest aufgeschraubten Deckeln geöffnet werden sollen.
    Auffallend war der dichte braune Bart, von dem E. vorhin gesagt hatte, daß er nichts Besonderes bedeute.
    Er irrte sich.
    Im Laufe von zehn Jahren hatte ich gesehen, wie die Fotografien, die meinen Rezensionen in den Zeitungen beigegeben wurden, sich veränderten. Am Anfang des Dezenniums stellte man mich noch als eine Art anämischen, bebrillten Jüngling dar; Hilfspfarrer oder außerordentlicher Anwärter auf das Lehramt.
    Es war eine relativ idyllische Zeit, als meine Bücher für exzentrisch und im Prinzip unverständlich, aber selbstverständlich für völlig statthaft gehalten wurden. Meine Verleger brachten sie mit zerstreuter Gleichgültigkeit heraus. Kein Mensch erwartete, daß ich damit fortfahren würde, welche zu schreiben.
    Ich lebte in Frieden und Teeduft in einem Zimmer mit Vorplatz im vierten Stock, in der Öfre Slottsgatan 5 in Uppsala. Meine Fenster lagen im Schatten

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