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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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mich gerade beschäftigt. Machst du bitte das Licht an der Tür aus, wenn ich Bescheid sage.
    Er fummelte ziemlich lange an dem Projektor herum, fluchte und versuchte es noch einmal, bis er den ersten Film eingelegt hatte.
    Schließlich flimmerten dann doch ein paar von diesen Startzeichen über die Leinwand. Der Film war offensichtlich in Farbe.
    Die erste Sequenz – ich fand den Lichtschalter erst nach längerem Tasten an der Tür hinter mir – zeigte eine Art Jeep oder Geländewagen und Johansson beim Herumalbern mit zwei sehr dunkelhaarigen Mädchen, die offenbar versuchten, ihm Coca Cola in den Kragen zu schütten. Er trug in dem Film ein sehr buntes Hemd und Shorts. Am Ende war Johansson der Verlierer. Man sah, wie sein Hemd langsam naß wurde.
    – Paß jetzt gut auf, sagte der wirkliche Professor Klas Johansson hinter dem Projektor.
    Die Landschaft war exotisch. Ein sehr breites Tal, in dem der Wind sichtbar durch sehr hohes, sehr weiches Gras ging. Hier und da gab es tiefgrüne Baumgruppen. Es kam mir komisch vor, daß einige Bäume die Form von Chiantiflaschen hatten, diesen bastumsponnenen italienischen Weinflaschen, unten dick und sich nach dem Wipfel zu verjüngend. Schwarzblaue Berge zeichneten sich weit hinten am Horizont ab. Ein Schwarm von Vögeln, die aussahen wie sehr große weiße Möwen, überquerte den Himmel, aber es konnten keine Möwen sein, sie bewegten sich eher wie Sperber.
    Die Kamera holperte durch die Landschaft, offensichtlich trug der Kameramann sie in den Händen.
    – Paß auf, jetzt kommen sie gleich, sagte Johansson aus dem Hintergrund des Zimmers.
    Aus dem grünen, hohen Gras lösten sich die Silhouetten einiger friedlich grasender, hellbrauner Tiere. Zuerst dachte ich, es seien irgendwelche Schafe, bis eins davon den Kopf hob und unruhig in Richtung der Kamera witterte, die kleinen, kindlich kleinen Vorderbeine ängstlich erhoben.
    – Sind es Känguruhs?
    – Es ist eine Känguruhherde in Tidbinbilla in Australien, sagte Johansson. Eine ganz gewöhnliche Herde von wilden Känguruhs. Aber jetzt paß auf!
    Eins von den Mädchen, die dem Professor Coca Cola ins Hemd geschüttet hatten, kam jetzt von schräg rechts ins Bild. Neben ihr ging ein Mann in einem karierten Hemd, hoch aufgekrempelten Jeans, einen Schlapphut auf dem Kopf. Beide hielten irgendwas in den Händen, vielleicht Holzstücke, die sie offenbar rhythmisch aneinanderschlugen.
    Die Känguruhs wurden immer unruhiger, hoben witternd die Nüstern in alle Richtungen, reckten die Hälse. Als die beiden mit den Holzstücken sich in einem Abstand von etwa zwanzig oder vielleicht dreißig Metern befanden – das war schwer abzuschätzen – und offenbar einen fürchterlichen Lärm mit ihren Holzklappern machten, konnte man sehen, daß ein Fluchtimpuls wie eine Welle durch die ganze Herde ging. Einige von den Tieren waren noch klein, man konnte sogar hier und da ein Junges sehen, das seinen Kopf aus dem Bauch der Mutter streckte, und wie sie unbekümmert weiter nach Grashalmen schnappten, während die Älteren schon längst aufgehört hatten zu grasen.
    Das unheimliche, das wirklich erschreckende war, daß man ganz deutlich sehen konnte, wie die Tiere fliehen wollten , wie die mächtigen Hinterbeine sich zum Sprung streckten und wie im nächsten Moment ALLES IN IHNEN BLOCKIERT WURDE .
    Sie kamen ganz einfach nicht vom Fleck. Ich kann es auf keine einfachere Art beschreiben. Es sah ungefähr so aus, als hätten sie sich’s in letzter Sekunde anders überlegt. Der junge Mann und das Mädchen näherten sich ihnen, klopften ihnen freundlich auf den Rücken, kraulten sie zwischen den Rippen, die so schmal und stark waren, daß man sie sogar im Film mühelos zählen konnte; einige davon zitterten am ganzen Körper, aber sie kamen nicht von der Stelle.
    – Mein Gott, sagte ich. Was ist los mit ihnen?
    – Wenn ich das nur wüßte, sagte Johansson.
    – Haben sie irgendein Gift gefressen?
    – Wir haben bei sechs von ihnen den Mageninhalt untersucht, das Rückenmark, die Leber, jedes einzelne innere Organ. Es war nichts da, was man vernünftigerweise als Umweltgift bezeichnen könnte. Tidbinbilla liegt zwar in der Nähe von Canberra, aber wie du weißt, ist Canberra eine reine Verwaltungsstadt ohne größere Industrien. Ringsumher ist eine dünnbesiedelte Landschaft, die sogar einem Bewohner von Västerbotten riesig und leer vorkommen würde. Eine Vergiftung ist es also nicht. Es ist etwas anderes. Aber das ist nur der Anfang.

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