Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
ohne daß sie ins Protokoll kommen. Das Sammeln von Informationen ist also ein bißchen heikel, fast wie bei militärischen Nachrichtendiensten. Man muß sich irgendwie durchwursteln, manchmal gibt es gewisse Möglichkeiten, Informationen auszutauschen. Ich habe hier einen Assistenten, der nichts anderes tut, als solche Berichte zusammenzustellen.
Er warf mir ein dickes hektographiertes Manuskript herüber, das notdürftig von ein paar Heftklammern zusammengehalten wurde.
– Das kannst du mitnehmen und durchlesen. Es ist nur vom letzten Vierteljahr, aber es gibt eine ganze Menge Material darin. Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Laub.
– Laub?
Er lehnte sich sehr bedächtig im Stuhl zurück. Diesmal steckte er sich nicht die Pfeife an, sondern kramte statt dessen dieselbe silberne Schnupftabakdose hervor, die ich schon einmal gesehen hatte, und klopfte tatsächlich zweimal auf den Deckel, bevor er sie öffnete, genau wie der Schreiner es zu tun pflegte, der in dem Haus in der Frankegatan in Västerås Hausmeister war, in dem ich als ganz kleiner Junge wohnte. Er verbreitete eine eigentümliche Geborgenheit um sich herum, die mich immer mehr faszinierte und bezauberte. Phantast oder nicht, jedenfalls gab er mir das Gefühl, mit einem wirklich vernünftigen Menschen zu sprechen.
Ich glaube übrigens, der Schreiner hieß Lövberg. Er bot mir Schnupftabak an, als ich ungefähr sieben war, und ich weiß noch, daß es ein phantastisches Gefühl war, weil man gleich am ganzen Körper fror.
– Magst du mir nicht eine Prise anbieten?
– Freilich. Aber es ist kein besonders feiner Schnupftabak.
– Laub, sagtest du?
– Ja. Das ist auch so eine Sache, bei der meine Abteilung kolossal abhängig davon ist, was für eine Strategie du wählst. Zur Zeit reichen unsere Mittel gerade noch dazu, einen Blick auf die Sache zu werfen.
Es geht also um folgendes: 1968 konnte sogar jeder Laie sehen, daß beispielsweise in einem ganz gewöhnlichen Park manche Laubbäume, besonders Espen, schon Mitte Juli anfingen, an einigen Stellen im Wipfel gelb zu werden. Es waren vereinzelte Erscheinungen, und niemand nahm sie besonders ernst. Schon seit Mitte der sechziger Jahre sind verschiedene Zierpflanzen im Handel, bei denen man durch eine Art künstlichen Chlorophyllzerfall sehr schönes rotes und gelbes Laub erzielt hat.
Abgestorbene Blätter sind ja oft sehr schön. Er nahm die Brille ab und drehte ein paar davon hin und her, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Man hat das durch die Implantation eines Virus erreicht.
Im Sommer 69 war kein Zweifel mehr möglich. Da die Behandlung von abgeholzten Flächen und Bahndämmen mit Hormoslyr damals schon eingeschränkt worden war, konnte man diesem Unkrautvernichtungsmittel nicht mehr die Schuld geben. Und dabei gab es südlich des Dalälven kaum einen Landstrich, wo nicht hier und da eine Espe oder Birke ein paar gelbe Blätter bekam. Soweit ich es beurteilen kann, nimmt diese Tendenz immer mehr zu, und wenn es so weitergeht, bedeutet das auf längere Sicht eine Katastrophe für bestimmte Arten von Laubbäumen. Falls das Virus nicht unter dem Einfluß von anderen Umweltfaktoren oder natürlichen Prozessen mutiert oder aus der Natur verschwindet. Wenn es das nicht tut, ist natürlich auf die Dauer die Sauerstoffzufuhr der gesamten Atmosphäre bedroht, aber das ist wohl eher eine Science-Fiction-Perspektive.
Wahrscheinlich haben wir in ein paar Jahren einen Laubbaumbestand, der gegen dieses Virus resistent ist.
– Mein Gott, sagte ich. Jetzt wird mir klar, daß das ein ganz verdammter Job ist, den ich mir da aufgehalst habe.
– Kann schon sein.
Ich sah auf die Uhr, und da fiel mir plötzlich ein, daß ich schon seit einer Stunde wieder in meinem Büro in Stocksund hätte sein sollen. Jetzt war es schon Viertel vor fünf. Wenn ich gleich ans Telefon stürzte, hätte ich vielleicht noch eine Chance, wenigstens so viel von meinen Versäumnissen nachzuholen, daß ich so etwas wie eine Ausgangsbasis hätte, wenn ich am nächsten Morgen hinkam.
– Du, ich muß mal eben dein Telefon benutzen, sagte ich.
– Nimm dieses hier, sagte er und grub unter einem Haufen von amerikanischen Zeitschriften eins hervor.
Die Sekretärin, die ich von meinem Vorgänger geerbt hatte, hieß Gunilla. Sie war vermutlich eine gute Sekretärin, nur wußte ich bis jetzt noch nicht so recht, wie ich mit ihr dran war. Sie schien immer ein bißchen Angst davor zu haben, mit dem herauszurücken, was sie sagen
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