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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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Jetzt werde ich dir noch einen Film zeigen, und ich glaube, dann wirst du verstehen, worauf ich hinauswill.
    Er brauchte eine Weile, um die Rollen zu wechseln, und bei dieser Gelegenheit fragte ich ihn ein bißchen aus.
    – Es sind also keine zahmen Tiere, sie sind nicht irgendwie gehemmt worden?
    – Überhaupt nicht.
    – Aber wenn es keine Vergiftung ist, was ist es dann?
    – Die einfachste und dümmste Erklärung ist, wenn man sagt, es sei eine ethologische Veränderung. Irgendwas ist passiert, vielleicht etwas Genetisches, vielleicht etwas anderes, das ihre instinktiven Reaktionen verändert hat, oder richtiger gesagt, einen Reflex in ihrem Verhalten blockiert hat.
    – Aber sie sind nicht irgendwelchen Experimenten ausgesetzt worden, wie beispielsweise Ratten in diesen Käfigen, wo sie einen Nervenzusammenbruch bekommen, weil man sie immer abwechselnd bestraft und belohnt, wenn sie auf denselben Knopf drücken.
    – Nicht daß ich wüßte. Aber es ist nicht auszuschließen, daß irgendwas, etwas Unsichtbares in ihrer Umwelt sich so verändert hat, daß die Wirkung dieselbe ist wie bei einer solchen Versuchsanordnung.
    – Aber in Australien kann doch die Umwelt nicht besonders verschmutzt sein.
    – Die Luft über den Großstädten ist genauso schlecht wie die Luft über Frankfurt am Main, aber vorerst handelt es sich nur um regional begrenzte Erscheinungen. Wie ich schon sagte: Diese Tiere sind nachweislich keinen Giften ausgesetzt gewesen.
    – Aber ist es denn so furchtbar schlimm, wenn ein paar Känguruhs in Australien degenerieren und sich sonderbar verhalten? Ich verstehe, daß solche Forschungen ungeheuer wichtig sind, und ich bin sehr daran interessiert, daß du die Möglichkeit bekommst, damit weiterzumachen, aber ich meine – man braucht das doch nicht als besonders alarmierend zu betrachten?
    Johansson antwortete nicht. Er putzte sehr sorgfältig seine dünne Brille und benutzte dazu doch tatsächlich ein genauso farbenfrohes Schnupftuch, wie mein Vater es seinerzeit hatte. Diesmal machte er selbst das Licht aus, fast als sei das eine so wichtige Sache geworden, daß nur er selbst es erledigen könne, schaltete den Projektor ein und ließ sich mit einem Grunzen auf den Stuhl dahinter fallen, das klang, als sagte er zu sich selbst, wie verdammt blöd die restliche Menschheit doch manchmal sei.
    Diesmal war es ein ganz anderer Film. Ein ziemlich starker Sturm wehte über etwas hin, das ein riesiger Kahlschlag sein mußte, auf dem einige vereinzelte Kiefern stehengeblieben waren, zersplittert oder ohne Wipfel. Kleine weiße Schneeflecken lagen hier und da im Reisig.
    Ich will mich nicht weiter hineinvertiefen. Direkt am Waldrand, wo der Kahlschlag mit großen Steinblöcken, unordentlichen Reisighaufen und tiefen, häßlichen Spuren von Forsttraktoren in den normalen Wald überging, stand eine Elchfamilie. Sie schien aus einem Bullen und zwei einjährigen Kälbern zu bestehen. Die Kamera fuhr immer näher heran.
    Plötzlich durchzuckte sie der gleiche Fluchtimpuls wie im vorigen Film. Und auch hier wiederholte sich dasselbe erschreckende Verhalten wie in dem australischen Film. Im allerletzten Moment, als man sicher war, daß sie weglaufen würden, verhielten die Tiere und starrten dem Betrachter mit großen, glasklaren Augen entgegen. Sie waren gestellt, ungefähr wie ein Jagdhund Kleinwild stellen kann, und ihr erstarrter Ausdruck hatte etwas ungeheuer Erschreckendes.
    Ich hatte vorher noch nie darüber nachgedacht, mit welcher Selbstverständlichkeit wir darüber urteilen, wie Tiere sich zu verhalten haben, und wie felsenfest wir doch davon überzeugt sind, daß sie sich immer genauso verhalten werden, wie wir es gewöhnt sind. Spatzen sollen auffliegen, wenn sich ein Auto auf der Straße nähert, Katzen sollen schnurren, wenn man ihnen den Rücken krault, Hunde sollen bellen, wenn man die Grenze des Grundstückes überschreitet, auf dem sie zu Hause sind.
    Das Verhalten dieser Tiere hinterließ einen sonderbaren, erschreckenden Eindruck von Leere ; als sei Gott tot oder als fließe die Wirklichkeit aus dem Universum, ungefähr wie aus einem Waschbecken, wenn man den Stöpsel herausgezogen hat.
    – Pfui Teufel, sagte ich. Wo ist das gemacht?
    – In einem Kahlschlag im nördlichsten Klarälvsdalen. Letztes Frühjahr. Eine Meldung in der Nya Wermlandstidningen hat mich auf die Spur gebracht. Zwei Elche sind dort von einem Forsttraktor überfahren worden, stell dir vor, von einem Traktor.
    – Wie

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