Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
wollte, und das machte ihren Ton etwas vorwurfsvoll.
Jetzt war er vorwurfsvoller denn je.
– Staatssekretär Svanhede hat mehrmals angerufen, es war ihm offenbar sehr wichtig, daß du ihn zurückrufst. (Ihr »du« kam immer noch sehr zögernd, nach einer Woche.) Dann hat Laborant Wittfogel von der FOA ein paarmal angerufen, wegen der Konferenz morgen. Er möchte wissen, wie lange sie dauern wird, weil er nachmittags nach Oslo muß. Außerdem möchte der Innenminister dich noch vor Donnerstag sehen. Ja, und dann waren es wohl nur noch ein paar Kleinigkeiten. Eine Frau Tillich, Agneta Tillich, hat mehrmals angerufen. Sie will vor fünf noch mal anrufen.
– Gut, den Rest erledigen wir morgen.
Johansson begleitete mich die vielen Treppen hinunter. Das nächste Stadium, erklärte er, während wir da gingen, sei der Übergang zu Experimenten. Man müsse geschlossene Ökosysteme, vollständige biologische Systeme schaffen, in die man verschiedene Faktoren einbringen könne, um ihre Wirkung zu studieren. Ein gewöhnliches Süßwasseraquarium mit einem guten biologischen Gleichgewicht sei eigentlich das Vorbild für jedes Experiment dieser Art. Unter diesen Bedingungen könne man nicht nur verschiedene Katastrophen in solchen Ökosystemen hervorrufen, sondern auch ziemlich groß angelegte Experimente durchführen, um zu demonstrieren, wie das Gleichgewicht in einem gestörten System wiederherzustellen sei.
In der Eingangshalle des Museums waren die Lichter gelöscht, als wir hinausgingen. Die Mammuts oder Elefanten oder was es nun war ruhten in einem sonderbaren Halbdunkel.
Die gräßliche Frau am Kassenschalter war weg.
Als wir draußen auf der Treppe standen, war es kalt und klar.
– Wovon ich träume, sagte Professor Klas Johansson, ist ein Experiment, bei dem einige Menschen eine Zeitlang, sagen wir ein paar Jahre, in der Gemeinschaft einer biologischen Umwelt mit Tieren und Pflanzen leben, die so organisiert ist, daß jedes Mitglied des Ökosystems sozusagen gleiches Stimmrecht hat. Das ist technisch durchführbar. Eine Umwelt, in der ein Mensch zu einer Maus sagen kann: Hör mal, an diesem Ort gibt es Dinge, die man tun darf, und Dinge, die man absolut nicht tun darf, und du bist jetzt zu weit gegangen, Freundchen.
Wohlgemerkt: Die Maus, oder meinetwegen auch eine Alge, soll in diesem Terrarium dasselbe zum Menschen sagen können. Eine Demokratie, ein neues Verhältnis zwischen dem Menschen und der Natur, wobei er sie zum erstenmal in seiner Geschichte nicht zu zerstören versucht.
– Eine solche Demokratie setzt doch eine Diktatur voraus. Eine totale Diktatur. Jemand muß ja schließlich dieses Terrarium konstruieren.
– Freilich. Es würde einen absoluten, zentralen Willen voraussetzen, vermute ich.
– Hör mal, ich glaube, ich muß jetzt losfahren. Ich habe einen weiten Weg nach Hause.
Es war ein bißchen glatt, aber nicht gefährlich. Die schlimmsten Autoschlangen waren schon vorbei.
Natürlich hatte niemand den Weg zum Haus freigeschaufelt. Siskan stand wie gewöhnlich hinter dem Küchenfenster und hielt nach mir Ausschau, während ich den Wagen in die Garage fuhr.
Damals habe ich mich oft gefragt, woran sie wohl dachte, wenn sie so dastand.
Wittfogels Auge, vergrößert
Es war eine ziemlich große Villa in Stocksund. Sie gehörte wohl zu den ältesten in dieser Gegend, mit ulkigen Konstruktionen an den Ecken, wie angeklebte Türmchen, und einer Eingangshalle, in der es tatsächlich dorische Säulen gab.
Am Eisengitter neben dem Gartentor war ein Messingschild angebracht, das bestimmt viel Geld gekostet hatte. Darauf standen die Buchstaben KBU und eine Telefonnummer, die man nach der Geschäftszeit anrufen konnte. Ich vermute, daß es die des Pförtners war.
Das Eisentor im Gitterzaun war immer verschlossen, es war in der Tat ein recht solides Tor mit einem ungeheuer stabilen elektrischen Schloß, wenn man es sich genauer ansah.
Jeder, der hineinwollte, mußte auf eine kleine elektrische Taste drücken und dem Pförtner über eine Sprechanlage erklären, was er wollte. Die Pförtner, die von der staatlichen Wach- und Schließgesellschaft kamen, sahen ungefähr wie Fallschirmsoldaten in amerikanischen Kriegsfilmen aus, mit Baskenmützen und Uniformen, Schlagstöcken und tragbaren kleinen Funkgeräten, und schienen einander ständig abzulösen. Im Lauf von zehn Tagen war es mir nie gelungen, zweimal denselben Pförtner anzutreffen. Das hatte natürlich jedesmal einige
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