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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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angemessenen Zahl von Freunden und Feinden.
    – Bist du sicher, daß G.’s Telefon gestört ist?
    – Sie könnte ja auch verreist sein.
    – Deine politischen Analysen werden mit jedem Tag sonderbarer.
    – Ja. Es gefällt mir sehr, gläubig zu sein. Es gefällt mir sehr, mit Leuten zusammenzusitzen, die alle finden, daß ich recht habe, aber meine Wißbegier ist größer als meine Genußsucht.
    – Magst du noch eine Tasse Tee?
    –
    – Warum antwortest du nicht? Woran denkst du?
    – Ich denke an König Sigismund den Dritten von Polen. Er ist im Krakauer Dom begraben. Ich habe den Sarkophag dort einmal gesehen. Und außerdem denke ich an einen Fischschwarm.
    – Wenn man die Leute fragt, woran sie denken, und wirklich eine aufrichtige Antwort bekommt, ist man immer wieder überrascht, an was für sonderbare Dinge sie denken.
    – Nein danke. Ich möchte keinen Tee mehr. Wenn man zuviel Tee trinkt, kann man Halluzinationen kriegen.
    – Was ist das für ein Fischschwarm, von dem du sprichst?
    – Ich denke an einen Schwarm von Weißfischen.
    – An einen Schwarm von Weißfischen?
    – Ja. Er steht nahe am östlichen Ufer des Sees Norra Nadden, im seichten Wasser, an einem Nachmittag in meiner Kindheit. Im seichten Wasser draußen wimmelt es von runden braunen Steinen, abgeflacht und gerundet, oval von den Schleifbewegungen des Wassers, das kristallklar ist. Dort steht der Weißfischschwarm. Wenn man sich auch nur das kleinste bißchen bewegt, verschwindet er wie ein Schatten, wie etwas Geistiges, Immaterielles, ein einziger klarer Silberglanz.
    – Und?
    – Ich habe fast dreißig Jahre gebraucht, bis ich erkannt habe, wie exotisch dieses Erlebnis ist. Was glaubst du, wie viele Kinder in den Großstädten Europas und Amerikas und übrigens auch auf dem Land heute noch die Chance haben, so etwas zu erleben? Es ist gut, als Kind am Ufer eines Sees zu sitzen. So ein bräunlicher, västmanländischer Binnensee ist ein guter Lehrmeister. Man fällt nicht so leicht auf jeden Blödsinn herein, wenn man als Kind einen solchen Lehrer gehabt hat.
    – Wie meinst du das?
    – Einfach so.
    – Aber wie meinst du das?
    – Nimm es beispielsweise als erotisches Bild. Wer einmal gesehen hat, wie ein solcher Schwarm von Weißfischen auftaucht und wieder verschwindet, der läßt sich nicht einreden, daß es erotische Techniken gibt. Ebensowenig wie es etwas gibt, das einem garantiert zu Ideen verhilft. Entweder kommen sie, oder sie kommen nicht.
    – Woran denkst du noch?
    – An ein ausgeschnittenes Comicbild in einem Klohäuschen. Widerlicher alter Herrscher auf fernem Planeten versucht schönes junges Paar daran zu hindern, aus einer sonderbar geformten Glaskugel auszubrechen. Was passiert eigentlich auf diesem Bild?
    – Vielleicht ist es umgekehrt. Nicht jemand, der sie zu hindern versucht, sondern jemand, der die beiden aus dem Paradies vertreiben will. Adam und Eva, vom Engel aus dem Paradies vertrieben.
     
    UND DANN WIEDER: DIE TELEFONGESPRÄCHE AUS SCHWEDEN
     
    Vorschriften für Fußgänger, Universitätsreformen, linke Gruppen, die einander zerfetzen, ungefähr wie junge Hunde die Pantoffeln ihres Herrchens zerfetzen. Blinde Teenageridole singen in Kirchen. Die Baugruben im Zentrum von Stockholm füllen sich mit Parkplätzen. Die Bilderbergkonferenz tagt auf Lidingö. Der Mythos von der geheimen Gesellschaft unter der Gesellschaft gedeiht. Verschwörungen werden aufgedeckt. In den Wartezimmern der Arbeitsämter entstehen die Romane dieser Zeit. Auf den Feldern rosten die Autowracks. Und das alles auf eine sehr unpersönliche, sehr uninteressante Weise.
     
    DIESE SCHWÄRME VON WEISSFISCHEN
     
    Sie gehören zum Paradies. Das Paradies besteht aus silbrigen Weißfischen in seichtem Wasser. Im Paradies bewegen sich die Seelen wie silbrige Weißfische im seichten Wasser. Für mich gehören sie zu Franz Berwalds »Symphonie singulière«, in einer Juninacht über weißen Wasserflächen am 60. Breitengrad gespielt, Berwald über Wiesen voller Wollgras gespielt, über humusduftenden Gewässern gespielt. Tintomara schleicht die Treppe der Oper hinauf und duftet nach Wald.
    Und da ist ein Fliederduft, die Fliederlauben vor den Häuschen und der weiße Staub der Landstraßen, die alten Leute, die um 1950 herum gestorben sind und noch vom »Deutschen« und vom »Russen« redeten, wenn sie die Rundfunkberichte vom Zweiten Weltkrieg kommentierten, sitzen in ihren Fliederlauben. (Gunder Hägg läuft gegen Dries, und alle verfolgen

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