Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
blieb.
Alles andere kam und ging, aber der Tod blieb. Ich war ein Teil im Zusammenhang des Todes, und der Tod bewies etwas. Aber was?
Etwas.
Er machte mich ruhig. Zu seinem Preis machte er mich ruhig.
Und ich! Ich Tor ließ es geschehen!
Und begriff nicht, daß ich damit von vornherein zum Kreis der Verräter zählte.
Die Bombergeschwader flogen über die Schauplätze der Welt und streuten ihren Tod aus, ihre Ruinen, ihre dunklen, verkohlten Kadaver. In den kilometertiefen Kühlkellern in abgelegenen Forschungsanlagen, hinter Stacheldraht und von wilden Hunden bewacht, lagerte der Tod von Millionen in hochvirulenten Bakterienbomben. Und er erschreckte mich nicht. Ich hatte zu sehr teil an ihm, ich rechnete mit ihm als einem Teil der Möglichkeiten dieses Lebens.
Denn ebendieser Tod hatte sich schon längst
(O Wollust!)
meiner bemächtigt, er war in meinen Därmen und Nieren, und spät am Abend, wenn der Tabakrauch dicht in einem Zimmer hing, war er gegenwärtig als ein fremder und bitterer Duft im Rauch. Er war mein eigenes Bild vom Zusammenhang und der Ordnung der Welt. Ich hatte teil an ihm. Und er erschreckte mich nicht.
Und so wurde ich mir darüber klar, daß es nicht einen Tag gab, nicht einen einzigen gewöhnlichen Alltag mit Telefongesprächen und Gängen zu Postämtern und soziologischen Studien in der Warteschlange der Weinhandlung und angebrannten Beefsteaks im Restaurant Nimbus und Autofahrten und der Nase im Katalog der Königlichen Bibliothek und den eigentümlichen Schornsteinaufsätzen in ein paar vergessenen Vierteln der vornehmen westlichen Stadtteile von Västerås, ich sage, nicht einen einzigen Tag, an dem nicht dieses
Ich will sterben
irgendwie im Hintergrund gegenwärtig war, wie das Geräusch entfernter Stimmen im Telefonhörer, die einen mitten im Gespräch stören, und ebenso selbstverständlich wie bei jemand anders die Gewohnheit, an der rechten Augenbraue zu zupfen oder sich den Bart zu kämmen, genau so eine Gewohnheit war diese Formel
Ich will sterben
und es war dasselbe Gefühl, wie wenn man eine Quittung unterschreibt, um irgendeinen Gegenstand aus einem Lager ausgehändigt zu bekommen, wo man sich Werkzeuge und Spaten für irgendein bemerkenswertes Vorhaben holt, und in diesem
ich will sterben
war meine Geborgenheit verbrieft, meine Unabhängigkeit von all den anderen, die schließlich nach Belieben mit mir umspringen konnten, mich verlassen, mich verachten, mich mißhandeln oder mich lieben, wie es ihnen gerade gefiel, da ich doch letztlich immer die höhere Karte haben und jedes Spiel gewinnen würde, und darum war ich ausgeschlossen
Ich will sterben
und darin war nicht nur mein eigener Tod beschlossen, sondern auch der Tod der anderen, denn zutiefst bedeuteten diese Worte nichts anderes, als daß von vornherein jede Hoffnung aufgegeben, die Wette verloren, der Ausgang von vornherein festgelegt war.
Ich war ein Teil im Zusammenhang des Todes, ich hatte mich zu seinem Verbündeten machen lassen. Zwischen mir und den Bombergeschwadern, den virulenten Bakterien in ihren Kühlkellern, den Gefangenenlagern mit ihren Scheinwerfern und elektrisch geladenen Stacheldrahtbarrieren, zwischen mir und den schwarzen Rauchsäulen dieses Dezenniums gab es eine Verbindung, eine Übereinstimmung.
Und das war der innerste, der letzte Kreis:
Ich sah mein eigenes Gesicht, es trat deutlich hervor, es war kein Zweifel mehr möglich, daß es meines war. Ich sah es an, und was ich sah, war Tod.
Ja selbstverständlich liebte ich sie.
Gesicht
(Jetzt im März 1970: Ich kann die Ereignisse nicht mehr in der Reihenfolge erzählen, in der sie tatsächlich stattgefunden haben: sie durchdringen einander.
Der Anfang: Duft von Regen, von Frühling, von Nebel, von trockenen Bergen, die der Regen durchtränkt. Mit diesem Frühling beginnen, zaghaft, die siebziger Jahre:)
Gesicht, weibliches, auf den Ellbogen gestützt und über mich gebeugt, als ich erwache. Diese großen blauen Augen haben mich lange, vielleicht eine halbe Stunde lang betrachtet, während ich schlief, als wollten sie ergründen, ob ich irgendein Geheimnis hätte. Ich habe kein Geheimnis.
Aber dafür fällt das Sonnenlicht durch eine orangefarbene Gardine und beleuchtet das Gesicht, so daß ich all seine kleinen roten Sommersprossen, die Fältchen, die kräftigen Lippen, die kleinen, energischen Linien um den Mund herum sehe. Und durch das halboffene Fenster ist mitten im Februar ein Spatz zu hören, es
Weitere Kostenlose Bücher