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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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sehr bemüht, einen äußerst korrekten und sympathischen Eindruck auf diese Herren zu machen, da es in ihrer Macht steht, das Krankenhaus jederzeit für militärische Zwecke zu beschlagnahmen; sie haben für Tausende von schwerverwundeten Soldaten die Verantwortung zu tragen.
    Als diese ernsten Herren von ihrem nachdenklichen Rundgang auf dem breiten Gartenweg zurückkehren und genau unter dem Balkon auf der Vorderseite des Krankenhauses stehenbleiben, da sehen sie ein außerordentlich häßliches Kind in einem langen weißen Nachthemd, mit entsetzlich abstehenden Ohren und kurzgeschnittenem rötlichen Haar, das ihm wie Igelstacheln um den Kopf steht. Dieses Kind tritt auf den Balkon hinaus, sieht sie mit einem strahlenden Lächeln an, das seine Zahnklammer in ihrem ganzen verführerischen Metallglanz enthüllt. Triumphierend hebt es die Hand zum Nazigruß und ruft so laut und deutlich, daß es unmöglich mißzuverstehen ist)
    – Heil Hitler, Herr Uhlich!
     
    Auf diese Weise erfuhren Herr Uhlich und die Welt, daß Johanna wieder aus ihrer Bewußtlosigkeit aufgetaucht war.
     
    Es gibt ein Bild von 1948, dem Jahr der Berliner Blockade. Sie steht mitten in einem Kohlfeld in einem Garten, sie hält einen Spaten in der Hand und hat ein mageres, sehr entschlossenes Aussehen. Es ist übrigens auf viele Jahre hinaus das letzte Mal, daß sie mager aussieht. Noch zur Zeit ihres Abiturs wird sie unter ihrer Fettleibigkeit leiden. Das Haar ist etwas länger geworden: es ist ungemein glattgekämmt, obwohl sie sich im Freien aufhält. Sie hat irgendeine schreckliche Kittelschürze an. Der Mangel an Steinkohle und Elektrizität in der abgeschnittenen Stadt hält sie davon ab, nachts zu lesen. Sie friert ganz entsetzlich. Sie lebt hauptsächlich von Kartoffeln und Kartoffelschalen. Sie hat für den Katholizismus zu schwärmen begonnen, und das wird in ihrer Generation in den nächsten fünf Jahren sehr üblich werden. Sie ist sehr unsicher, sehr schüchtern.
    Wenn es jemandem gelingt, ihr Vertrauen zu gewinnen, dann redet sie, rasch, klar, nervös und lebhaft, aber das ist etwas, was selten geschieht.
     
    Sie macht 1956 ihr Abitur. Sie ist selbstverständlich die Beste in ihrer Klasse, aber bei ihren Kameraden nicht besonders beliebt, die sie schweigsam, vor allem aber häßlich finden. Sie ist oft krank, es gibt lauter unbestimmte organische Symptome, die kein Arzt richtig diagnostizieren kann. Nicht selten muß sie deswegen der Schule fernbleiben. Dann hat sie dumpfe, qualvolle Magenschmerzen. Sie selbst beschreibt sie so, daß »ein Mühlstein sich langsam in ihrem Bauch drehe«.
    Sie hat sich jetzt zur Gewohnheit gemacht, das rötliche Haar immer wie eine Gardine herunterhängen zu lassen, damit es die Ohren verbirgt. Außerdem hat sie diese immer mit großen, unter der Haarmähne unsichtbaren Heftpflastern nach hinten geklebt.
    Ausgerechnet in der Abiturientenprüfung in Geschichte, als sie gerade über Heinrich von Navarra spricht, der König von Frankreich werden soll, löst sich das rechte Pflaster. Blutrot vor Scham entfaltet sich das rechte Ohr, es hat den Umfang eines kleineren Segels.
    Sie verliert völlig den Faden und kann während der ganzen Stunde kein einziges Wort mehr sagen.
    Sie empfindet sich selbst als Monstrum.
     
    Aber schon im nächsten Jahr, als sie als Kindermädchen bei einem französischen Chirurgen in der Bretagne arbeitet, einem freundlichen kleinen Herrn mit einer großen Kinderschar, der sie mit einer Mischung aus amüsiertem Interesse und überheblicher Nachsicht behandelt, löst sich das Problem und verschwindet aus ihrem Leben. Ihr Arbeitgeber sagt:
    – Aber liebes Kind, das läßt sich mit einer einfachen Operation und einer Woche Krankenhausaufenthalt erledigen.
    Auf der Taxifahrt zum Krankenhaus, wo er an bestimmten Tagen über den Operationssaal verfügen kann, macht der Arzt die Bemerkung, sie sei sich doch hoffentlich im klaren, daß es sich um eine ziemlich teure Operation handele. Sie ist verzweifelt, da sie fast überhaupt kein Geld hat, sagt aber vor lauter Überraschung und Angst nichts.
    Die Summe, die ziemlich groß ist, bezahlt schließlich der Arzt.
    Im folgenden Herbst, sie wohnt in einem Mansardenzimmer in der Rue des Quatre Vents in der Nähe der Rue de Seine und lebt von irgendeiner Rente (ihr Vater ist 1941 gestorben), verliebt sie sich heftig in einen ihrer Professoren. Sie kauft unter großen finanziellen Opfern (sie hat immer zwischen Büchern und Essen zu wählen)

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