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Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Titel: Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jockel Tschiersch
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würden. Rita hatte durchaus ein Faible für Morbides, sie mochte verlassene Industrieanlagen und fand, dass stillgelegte Bergwerke, zusammenfallende Holzschuppen oder verrostete Förderanlagen einen ganz besonderen ästhetischen Reiz hatten. Zuhause hatte sie die Fotografie eines stillgelegten Bergwerks in Colorado an der W and hängen, das so ziemlich das Einzige war, was sie aus ihrer Ehe mit einem Immobilienmakler aus Kassel gerettet hatte.
    »Soll ich Sie vielleicht mal ablösen?«
    Rita schüttelte den Kopf. Zu ihrer anfänglichen Euphorie mischte sich der Stolz, in so kurzer Zeit schon so etwas wie Routine an den Hebeln erlangt zu haben. Solange sie fuhr, konnte und musste sie nichts anderes tun. Und schon gar nicht darüber nachdenken, wie alles weitergehen sollte, mit ihr und Zwerger, überhaupt mit ihrem ganzen Leben. V or zwei T agen wäre es unvorstellbar für sie gewesen, glücklich und zufrieden damit zu sein, eine Raupe bei Ziehharmonikaklängen nach Norden zu steuern. Zumindest für diesen Moment war das aber so.
    Zuerst dachte Rita, Ewald hätte sich mächtig verspielt, ein paar falsche T öne seien ihm ausgekommen. Doch im nächsten Moment nahm Ewald die Finger von den T asten, und der unverwechselbare Klang eines Martinshorns lag in der Luft. Rita erschrak.
    »Die Polizei. Scheiße.«
    »Rutschen S’ rüber, ich fahr weiter!«
    Ewald ging blitzschnell an die Hebel, gab V ollgas und bog auf den Schotterweg ab, der zu der verfallenen Kiesgrube führte. Rita sah nach hinten, von wo sich das Martinshorn näherte.
    »Dieser Heinz, vielleicht hat er uns die Polizei auf den Hals gehetzt wegen seinem Lkw …«
    »Oder der Zwerger wegen seinem Porsche …«
    Ewald fuhr auf das Gelände, zirkelte die Raupe an alten Förderanlagen und verrosteten Baumaschinen vorbei durch den Kies, hin zu zwei alten Holzschuppen. Schnell lenkte er die Fiat-Allis in einen halb verfallenen Holzschuppen und stellte die Maschine ab.
    »Los, runter!«
    Ewald und Rita sprangen von der Raupe und versteckten sich zwischen ein paar alten Ölfässern, die in dem Schuppen standen. Das Martinshorn kam immer näher, und Rita versuchte zwischen den Ritzen des Holzschuppens zu erspähen, ob die Polizei sie schon entdeckt hatte.
    Dann fing Rita laut an zu lachen, das Martinshorn entfernte sich wieder.
    »Das war ein Krankenwagen! Der ist einfach nur die Straße langgefahren!«
    »Dann hätten wir gar nicht erschrecken müssen.«
    Rita schüttelte den Kopf: Sie hatte immer Schwierigkeiten gehabt, die Sirenen von Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen zu unterscheiden.
    Beide stiegen lachend auf die Raupe, als wieder ein seltsames Geräusch zu hören war. Diesmal war es ein T röten, das aber mehrstimmig zu sein schien und fast gespenstisch anmutete.
    »Komische Polizei-Sirenen haben die hier oben …«
    »Klingt eher wie eine Posaune.«
    Die sphärischen Klänge wurden lauter, und Rita hätte schon gern gewusst, was das war.
    »Gibt’s hier Elefanten?«
    Ewald und Rita stiegen von der Fiat und schlichen vorsichtig an den Rand des Schuppens.
    »Da drüben.«
    Auf einem verrosteten Metallgerüst, das zu einer alten Förderanlage gehörte, stand ein Mann mit einer Posaune. Er war klein, vielleicht Mitte fünfzig, in einem dunkelgrauen A nzug, der auch schon bessere T age gesehen hatte. Er hatte eine dicke Hornbrille auf, sein schütteres Haar war sorgsam zu einem Scheitel gekämmt. Neben sich hatte er eine abgeschabte A ktentasche aus braunem Leder stehen. Er spielte auf einer silbernen Zugposaune, die Melodie erinnerte an einen alten Choral. V erblüffend war, dass sein Spiel mehrstimmig zu sein schien: Offenbar sang er gleichzeitig die zweite Stimme des Chorals in die Posaune hinein, was in der Einsamkeit der verlassenen Kiesgrube klang, als beklagten sich die Götter des Kiesabbaus über den V erlust ihres T empels.
    Rita und Ewald hörten gebannt zu, der Mann schien in den Sphären seiner eigenen Klänge versunken zu sein.
    Als der Choral zu einem Ende kam, klatschte Ewald freudig in die Hände.
    »Spielen’s weiter, das war schön!«
    Der Mann ließ seine Posaune sinken und sah drein, als sei er bei etwas V erbotenem ertappt worden.
    »Ich arbeite hier.«
    Der Mann hatte eine dünne Stimme, die ängstlich klang.
    »Ich heiße Kottsiepe und bin in der Buchhaltung. Meine Frau hasst die Posaune. Drum habe ich sie hier versteckt. Und spiele immer bis Feierabend.«
    Rita und Ewald sahen sich verwundert an.
    »Wir haben nämlich Betriebsferien. A

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