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Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Titel: Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jockel Tschiersch
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ber das habe ich meiner Frau nicht gesagt.«
    »Meine Mutter mag’s auch nicht, wenn ich spiele.«
    Ewald ging hinüber zur Raupe. Der merkwürdige Mann oben auf dem Gerüst hielt seine Posaune umschlossen wie einen Schatz und senkte wieder den Blick. Rita wusste nicht, was sie sagen sollte, und versuchte, Herrn Kottsiepe zuzulächeln.
    Ewald kam mit seinem A kkordeon zurück.
    »Spielen S’ mal einen T on.«
    Herr Kottsiepe setzte die Posaune an, dann blies er ein notiertes »C«, das auf der Posaune als »B« erklang. Ewald suchte auf der T astatur und hatte das »B« schnell gefunden.
    »Ich hab den T on. Fangen’s einfach an.«
    Kottsiepe begann zu spielen, Ewald stieg nach dem ersten T akt vorsichtig ein. Einfühlsam legte er ein paar A kkorde und Bässe unter Herrn Kottsiepes Melodie und traf sowohl Rhythmus wie T onalität. Kottsiepe merkte, dass Ewald ihn verstand, und begann wieder in die Posaune hineinzusingen. Ewald übernahm die gesungene Melodie eine T erz höher und sang die Basslinie mit, die er mit der rechten Hand spielte.
    Rita konnte es kaum glauben, dass die beiden Männer miteinander musizierten, als hätten sie nie etwas anderes getan. Dann übernahm Ewald mit der linken Hand die Grundmelodie, variierte sie ein wenig, und Herr Kottsiepe spielte einen Basslauf dazu. Die A ugen der beiden trafen sich, und sie legten an Intensität zu, ohne im T empo davonzulaufen oder sich gegenseitig zu übertönen. Man hätte denken können, die beiden hätten wochenlang miteinander geprobt, als sie nach etwa einer V iertelstunde gemeinsam zu einem wunderschönen leisen und sanften Schluss kamen.
    Rita klatschte begeistert in die Hände.
    »Bravo!«
    Herr Kottsiepe senkte bescheiden die A ugen, aber um seinen Mund schien sich ein kleines Lächeln zu zeigen. Er verstaute die Posaune im Futteral und nahm seine A ktentasche in die Hand.
    »Wenn die A rbeit wieder anfängt hier, muss ich eben in der Mittagspause spielen.«
    Herr Kottsiepe kletterte vorsichtig vom Gerüst, Ewald half ihm, den Posaunenkoffer herunterzuheben.
    »Jetzt muss ich nach Hause zum A bendbrot. Ich habe meiner Frau gar nicht gesagt, dass wir Betriebsferien haben.«
    Rita lächelte und wusste wieder nicht, was sie darauf sagen sollte.
    Herr Kottsiepe gab Rita und Ewald die Hand, bedankte sich nochmals und ging durch den staubigen Kies davon in Richtung eines kleinen Dorfes, das in etwa zwei Kilometern Entfernung zu liegen schien. Ewald und Rita sahen ihm hinterher, bis seine Silhouette samt Posaune und A ktentasche immer kleiner wurde.
    »Das ist schon blöd, wenn einer daheim nicht spielen darf. Meine Mutter mag’s auch nicht.«
    »Trotzdem darf man sich nicht so hängen lassen. A uch wenn man keine A rbeit hat.«
    »Haben Sie schon mal keine gehabt?«
    »Was, A rbeit? W ieso?«
    »Weil Sie ja jetzt bald auch keine mehr haben. Gehen Sie dann wieder heim?«
    »Wie heim?«
    »Irgendwo sind Sie doch daheim, oder? W enn man nicht aus dem A llgäu ist, ist man woanders her.«
    Rita schüttelte belustigt den Kopf.
    »Gibt’s vielleicht irgendwas zum A bendessen?«
    Die Sonne stand bereits ziemlich tief, das kleine Feuer, das Ewald in einer schnell mit der Fiat zusammengeschobenen Kuhle aus Kies angezündet hatte, glühte nur noch. A n der T ankstelle hatten sie am Nachmittag W ürstchen in Folienverpackung gekauft, die Ewald an Holzstöckchen über dem Feuer gegrillt hatte. Dazu gab es eine T üte Kartoffelchips »Paprika pikant«, wie Karl Zwerger sie liebte, wenn er nicht gerade bei T ino überdimensionierte Rindersteaks verdrückte. Die W ürstchen waren wegen des hohen W assergehalts auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Größe zusammengeschrumpft und hatten geschmeckt, als seien sie in einem Chemiewerk hergestellt worden. Der Obstler war alle, Ewald entkorkte mit einer Kombizange und einer Spax-Schraube eine Flasche billigen T ankstellen-Weißwein.
    »Warum sind Sie heut nicht zurückgefahren mit dem Zug?«
    »Ich hatte meine Gründe.«
    »Das sagen die Leute immer, wenn sie etwas nicht sagen wollen.«
    »Die W ahrheit vertragen eben nicht alle.«
    »Die W ahrheit nutzt einem sowieso nix, wenn man sie nicht kennt.«
    Die W ahrheit im Moment war die, dass es Rita einfach nur Spaß machte, mit einer Planierraupe quer durchs Land zu fahren. W obei ihr doch etwas unheimlich vor ihr selbst war, plötzlich an Dingen Freude zu finden, die sie noch vor zwei T agen als hochgradig albern abgetan hatte. Rita trank noch einen Schluck von dem W ein,

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