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Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Titel: Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jockel Tschiersch
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der abscheulich schmeckte: Man hätte ihn vielleicht zusammen mit den W ürstchen vernichten sollen.
    »Herr Fricker, wenn Sie da morgen ankommen, da oben an der Ostsee, oder übermorgen, dann …«
    »Wollen Sie jetzt doch nicht mit?«
    »Ja doch, schon, aber …«
    »Wenn man immer weiß, was man will, dann macht’s alles eh keinen Spaß, oder?«
    Rita musste zugeben, dass da etwas dran war.
    »Wissen Sie denn, was Sie wollen?«
    »Erst mal an die Ostsee. Und irgendwann nach A frika.«
    »Wohin?«
    »Durch die W üste mit der Raupe. V ielleicht könnte man denen helfen, einen Staudamm zusammenzuschieben, damit sie W asser haben. Oder Musik machen. Das mögen die auch.«
    »Sie wissen doch nicht mal, wo A frika liegt.«
    Das war Rita nur so herausgerutscht.
    »Ich weiß auch nicht, wo die Ostsee liegt. T rotzdem fahr ich hin.«
    Rita rückte ein Stück näher an Ewald und das Feuer heran, die Glut wärmte schön, die Sonne war bereits untergegangen, und am westlichen Himmel zeigte sich ein Rot, das dem im Lagerfeuer nicht unähnlich war.
    »Wie man A frika schreibt, weiß ich. Ein A und meinen Namen dran. A -Fricker …«
    Rita musste lachen. Für den Deppen, für den ihn alle hielten, hatte er einen erstaunlichen Humor.
    »Wie schaffen Sie das alles, wenn Sie nicht lesen und schreiben können?«
    »Bloß weil ich schreiben könnt, tät ich dem Zwerger jetzt auch keine Postkarte schicken.«
    Rita spürte eine Sehnsucht, auch so ein kleines Ziel wie dieser Herr Fricker zu haben. Mit einem Mal wusste sie nicht mehr, ob sie wirklich mit Karl Zwerger die große Perspektive erleben wollte, die nach 36 Stunden bereits in Form von mündlichen V orwürfen sich einzutrüben begann. Fricker wollte da rauf an die Ostsee, auch wenn es ein bissel naiv war, zu einer Meisterschaft zu fahren, bei der er gar nicht angemeldet war. A ber vielleicht ließ sich diese kleine Formalität ja in den Griff bekommen, da hatte Rita mit ihrem Händchen fürs W ichtige schon viel fundamentaleren Bockmist vom T isch gepustet.
    Ewald stand auf, nahm seine Ziehharmonika, stieg auf das Gerüst, auf dem Herr Kottsiepe mit seiner Posaune gestanden hatte, setzte sich hin und fing leise an zu spielen. Es klang wie Kirchenmusik, aber Rita kannte sich damit natürlich nicht genügend aus, um zu wissen, dass es das Orgelkonzert in e-Moll, Bach-Werke-Verzeichnis Nr. 555 war, das da erklang. Ewald wusste es auch nicht, er hatte sich auch dieses Stück von der Ratzisrieder Kirchenorgel abgehört und einfach auf dem A kkordeon nachgespielt, ohne dass er so etwas wie eine T ranskription erstellt hätte, wie denn auch: Hören und spielen, das war alles, was er konnte.
    Rita saß da und hörte einfach nur zu. Die Sterne am klaren Mecklenburger Himmel leuchteten über der verlassenen Kiesgrube, und die Musik klang, als sei sie genau für diesen A bend in dieser Umgebung komponiert worden. Rita hatte sich nie viel aus Kirchenmusik gemacht, aber jetzt war es, als ob die Klänge ihr ein wenig A syl von der Realität verschafften. Die unschönen W ahrheiten, die es auch in ihrem Leben gab, waren hier und jetzt außen vor. Der W ein allein konnte es nicht gewesen sein, der ihr dieses Gefühl gab, fernab von allem Ärger der W elt zu sein.
    Rita wusste nicht, wie lange sie dagesessen und zugehört hatte, als Fricker aufhörte zu spielen. Die W einflasche, die sie in ihrer Hand hielt, war jedenfalls leer.
    »Wunderschön.«
    »Wenn man einen hat, der zuhört, spielt sich’s eh besser … fast wie von alleinigs.«
    Ewald stieg wieder herab vom Gerüst.
    »Für so was muss man doch Noten können, oder?«
    »Ich hab’s in der Kirche gehört, und dann hab ich’s einfach nachgespielt daheim. A ber ich hab schon ein bissel üben müssen, da sind ein paar saublöde Stellen drin. Ist noch was da von dem W ein?«
    Rita schüttelte den Kopf.
    »Tut mir leid, ich hab die Flasche ausgetrunken.«
    »Auch egal, ich bin eh schon müde. Morgen früh geht’s weiter.«
    »Warum sind Sie nicht Musiker geworden?«
    »Da muss man Noten können.«
    Rita lachte.
    »In einer Kiesgrube kann jeder Depp arbeiten, aber so Musik machen …«
    »Ich bin zufrieden mit dem, wie’s ist. W enn man erst mal anfängt mit dem Unzufriedensein, dann sucht man immer weiter, bis man dann so unzufrieden ist, dass einem gar nix mehr gefällt. Und dann ist man bloß noch zufrieden, wenn man unzufrieden ist.«
    »Meine Güte, ich bin auch zufrieden, aber …«
    »Entweder man ist zufrieden, oder man sagt

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