Ritter 01 - Die Rache des Ritters
auf sie zu. »Vermutlich ist es dann zu vermessen zu hoffen, Ihr könntet mich heute als Euren Ritter beim Wettkampf bejubeln.«
Sie stieß einen leisen Ton aus, der sicherlich als Ablehnung gedacht war, aber ihm entging weder das leise Zucken ihrer Lippen noch die feine Röte, die ihr in die Wangen stieg. Sie senkte den Kopf und betrachtete interessiert ihre bestickten Schuhe. »Ich werde niemanden bejubeln«, sagte sie mit einer Spur von Geringschätzung. »Hätte ich die Wahl, würde ich mir den Wettkampf gar nicht ansehen. Entgegen der Vorliebe meines Vaters für diesen Sport sind Turniere in meinen Augen nur ein Vorwand für Gewalt und Ausschweifung.«
»Aye«, Gunnar stimmte mit ihrer Ansicht überein, »sie bringen das Schlechteste in einem Mann zutage. Jeder ist auf der Suche nach Glück oder Ruhm.«
»Und was von beidem sucht Ihr, Mylord?«
Er musste fast lachen über ihre Direktheit. »Um die Wahrheit zu sagen, habe ich für beides keinen Gebrauch. Ich bin hier im Namen der Ehre.«
»Der Ehre einer Lady?«
»Aye«, bestätigte er und zollte der Art, wie ihre Augen sich bei der Erwähnung einer anderen Lady verdunkelten, etwas zu viel Aufmerksamkeit. »Ich bin gekommen, ein Unrecht wiedergutzumachen.«
»Mylord, Ihr überrascht mich«, sagte sie mit einem leicht neckenden Lächeln. »Ich hätte Euch nicht zu der ritterlichen Sorte gezählt. Sagt mir, ist Eure Lady anwesend, um zu sehen, wie Ihr ihre Ehre verteidigt?«
Sofort dachte er an seine Mutter und ihre Bemühungen, einem Jungen, der mehr an Scheinschlachten und rauen Abenteuern interessiert gewesen war, Höflichkeit und Manieren beizubringen. Ritterlichkeit und Ehre waren zwei Eigenschaften, die sie geschätzt hatte; zwei Eigenschaften, die er nie besessen hatte und vermutlich auch nie besitzen würde.
»Sie ist tot«, erwiderte er offen, und seine knappe Antwort genügte, um jede Spur von Heiterkeit von Rainas Gesicht zu vertreiben. Aber Gunnar bemerkte ihre Reaktion kaum. Gefangen in seinen Erinnerungen sprach er seine Gedanken laut aus. »Wenn alles gut geht, wird der dafür Verantwortliche am Ende des Tages bezahlt haben.«
Das laut ertönende Trompetensignal, das seine rätselhafte Bemerkung noch unterstrich, zog nun die Aufmerksamkeit aller Versammelten auf sich. Im Bierzelt erhob sich ein Ruf aus einer Gruppe von Rittern, dem das Klirren von Rüstungen folgte, als sich die Männer schwerfällig zu ihren wartenden Pferden begaben.
»Nun«, sagte Raina, die über die Schulter zum Turnierplatz schaute, »das Turnier beginnt.«
»Aye«, bestätigte Gunnar und ließ den Blick über die an den Zweikämpfen teilnehmenden Ritter gleiten. Ungeduld machte sich mit jedem Herzschlag mehr in ihm bemerkbar. »Aber ich sehe den Baron nicht.«
»Er ist dort in der Loge.«
Gunnars Blick folgte ihrer flüchtigen Geste zu dem oberen Rang der Loge, wo ein grauhaariger, dickbäuchiger alter Mann unter einem gestreiften Baldachin saß. Gehüllt in Mengen leuchtend bunter Seide, die nichts dazu beitrugen, seinen Leibesumfang zu kaschieren, wirkte der Baron wie ein abgetakelter König, wie er da an seinem Becher nippte und sich mit der Hand Luft zufächelte. Als spüre er plötzlich ihre Aufmerksamkeit, wandte sich sein Blick ihnen zu. Er beugte sich vor, blinzelte im Licht der Sonne und schob seine kleine Krone zurecht, als sie ihm in die Stirn rutschte.
Gunnars Magen zog sich zusammen, als eine Erkenntnis in ihm aufstieg. »Er ist nicht für den Wettkampf gekleidet … «
»Wettkampf?«, wiederholte Raina mit einem leisen Lachen. »Nein, natürlich nicht! Es ist Jahre her, seit er selbst im Turnier angetreten ist.«
Ihre Stimme ging fast unter in dem Tumult, der sich in Gunnar zu Raserei aufpeitschte. Wut, Enttäuschung, Hilflosigkeit, Frustration – ein wirbelnder Sturm der Gefühle übermannte ihn und ließ ihn atemlos zurück. Er fühlte sich, als würde sich die Erde unter ihm auftun und ihn verschlingen. Er hatte all diese Jahre gewartet, war den ganzen Weg bis hierher gegangen … für nichts.
»Nein«, sagte Raina jetzt, »mein Vater wird dem Turnierplatz heute nur so nahe kommen, dass er dem Sieger den Preis überreichen kann.«
Ihr Vater.
»Baron d’Bussy ist« – er musste sich fast schütteln, um die Worte auszusprechen, ohne zu stottern – »er ist Euer Vater?«
»Ja, das ist er«, erwiderte sie strahlend und schaute ihn an.
Gunnar kämpfte hart gegen seinen aufgewühlten, gegen sich selbst gerichteten Zorn. Er musste alle Kraft
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