Ritter 01 - Die Rache des Ritters
bin keine Verräterin«, widersprach sie heftig. »Und Gunnar ist kein Verräter. Soweit ich das beurteilen kann, ist nur eine einzige Person des Verrats fähig, und das bist – «
»Hüte deine Zunge, meine Liebe«, tadelte er sie und legte den Finger auf ihre Lippen. »Du solltest lernen, mich bei guter Laune zu halten, denn ich kann dich ebenso leicht in die Verliese dieser Burg einsperren lassen wie … «
Er musste diesen Satz nicht zu Ende sprechen. Beide wussten um das Ungesagte. Gunnar war auf Norworth. Raina versuchte, sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen, aber innerlich sang sie vor Freude. Sie wollte lachen, weinen, schreien vor Erleichterung. Gunnar war hier, und sie wusste in ihrem Herzen, dass er lebte.
Und dass sie ihn finden würde.
»Ich werde dich genau im Auge behalten«, warnte Nigel, »und ich erwarte, dass du heute Abend deine Mahlzeit an meiner Seite einnimmst – still und willig – , wenn ich deine Entscheidung verkünde, mich zu heiraten.« Sie wollte protestieren, aber er hinderte sie mit einem Hochziehen seiner Augenbrauen daran. »Wenn du es nicht für mich tun willst, dann tu es für Rutledge. Er ist in einer ziemlich üblen Verfassung, und ich weiß nicht, wie viel von meinem Zorn der arme Kerl noch ertragen kann.«
Raina ertrug das Abendessen an Nigels Seite auf der Estrade, nahm ruhig die Beileidsbezeugungen der Burgbewohner zum Tod ihres Vaters entgegen und überstand das unterschwellige Raunen über Schande und Schuld. Nigel machte sich nicht einmal die Mühe, Kummer vorzutäuschen, und hatte zur Unterhaltung eine Gruppe von Gauklern engagiert. Er ließ zudem Fass um Fass Wein herbeischaffen, und es schien ihn nicht im Mindesten zu beeindrucken, dass nur er Vergnügen an dieser unangemessenen Fröhlichkeit fand.
Es schien ihm auch nichts auszumachen, wie überrascht alle reagierten, als er sich auf den Tisch des Lords stellte und verkündete, dass er Raina am nächsten Tag in der Frühe heiraten werde.
Raina, hin- und hergerissen zwischen Trauer und Zorn, fand es schwer, ihre Gefühle zu verbergen. Zwar wurden von den Männern und Frauen der Burg verhaltene Glückwünsche entboten, doch niemand wagte es, Fragen über den Zeitpunkt oder den Grund für diese Verbindung auszusprechen. Nigel erklärte hingegen, dass Norworth einen neuen Lord brauche und er sich hochgeehrt fühle, dass Raina ihn gebeten habe, ihnen allen als solcher zu dienen, an ihrer Seite und als ihr Gemahl.
Erst nachdem Nigel hinabgestiegen war, um den Tanz zu eröffnen, erlaubte Raina es sich, sich innerlich gehen zu lassen, und sie betete darum, dass es Gunnar gut ging. Sie zuckte erschrocken zusammen, als jemand ihr die Hand auf die Schulter legte.
»Oh! Evard«, sagte sie und atmete tief aus. »Ihr habt mich so erschreckt.«
Das faltige Gesicht des Soldaten wurde von tiefer Sorge gezeichnet. »Beunruhigt Euch etwas, Mylady? Ich meine, abgesehen von allem, was gestern … geschehen ist?«
»Nein«, log sie und sah ihn so strahlend an, wie sie konnte, während ihr Blick auf Nigel gerichtet war, der damit beschäftigt war, sich an den Miederbändern einer Gauklerin zu schaffen zu machen. »Mir geht es – mir wird es gut gehen, danke.«
Er schien nicht überzeugt zu sein, denn er beugte sich vor zu ihr und sagte leise: »Es steht mir nicht zu, es zu sagen, und ich bitte um Verzeihung, wenn ich Euch zu nahe trete, Mylady, aber Eure Gattenwahl stellt viele von uns vor die Frage, ob Ihr nicht zu überstürzt handelt und ob Euer Schmerz über den Verlust Eures Vaters daran schuld ist – und die ihn begleitenden Umstände.«
Sie sah dem alten Soldaten ins Gesicht und wusste, sie konnte offen zu ihm sein. »Was immer Nigel allen erzählt hat«, flüsterte sie, »ich weiß, dass Gunnar nichts mit dem zu tun hat, was sich gestern zugetragen hat. Außerdem bin ich sicher, dass ich den Beweis für Nigels Doppelzüngigkeit haben werde, wenn ich meinen Vater sehen könnte.«
Evards Lächeln zeigte Verstehen und Mitgefühl. »Ich kann einen Suchtrupp zusammenstellen, Mylady«, bot er an.
Hoffnung flackerte in Raina auf; sie war in dieser schlimmen Situation also doch nicht ganz auf sich allein gestellt. Doch die Chance, ihren Vater zu finden – was immer ihm widerfahren sein mochte – war gering. »Wynbrooke liegt viele Stunden nördlich von hier, und obwohl ich weiß, dass mein Vater zuvor noch nie so weit geritten ist, war er … « Sie konnte nicht sprechen. »Ich kann Euch nicht sicher sagen,
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