Ritter 01 - Die Rache des Ritters
»Damit reibt Ihr die besonders schmutzigen Partien ein, dann scheuert Ihr den Stoff zwischen Euren Händen. Und zwar so.« Sie zeigte es mit Elan und wartete, dass Raina es ihr nachtat.
Raina nahm die Seife und rieb sie in den Stoff ein, als sei es Rutledges arrogantes Gesicht.
»Halt!«, rief Agnes und nahm ihr das kleine Stück aus der Hand. »Verbraucht nicht zu viel Seife, sie – «
»Ich weiß«, sagte Raina und hatte wieder Rutledges Anweisungen im Ohr.
»Wenn wir hier fertig sind, hängen wir alles zum Trocken auf«, erklärte Agnes, während sie ihr Wäschestück auswrang und das nächste holte.
Raina seufzte schwer, tat dann das Gleiche und ging auf ihrem Weg zurück zum Ufer an Agnes vorbei. Die alte Frau warf ihr ein fast zahnloses Grinsen zu und begann zu pfeifen; offensichtlich genoss sie ihre Rolle als Lehrmeisterin. Zu Agnes’ fröhlicher Melodie bildete das Waffenklirren auf dem Burghof eine seltsame Untermalung, der Klang hallte verstärkt von der zerbröckelnden Festungsmauer wider, die die Männer vor ihren Blicken verbarg. Raina ließ die saubere Tunika auf einen Rasenfleck fallen und beugte sich hinunter, um ein anderes Stück zu nehmen und es zu waschen. In diesem Moment wuchs in ihr eine Erkenntnis.
Wenn die Mauer den Burghof vor ihren Blicken verbarg, dann verbarg er ebenso sie vor Rutledges wachsamem Auge. Sie presste die Tunika an ihre Brust und spähte unauffällig zum Wehrgang hinauf. Nur ein Mann stand in der Nähe des Aufgangs Wache, und seine Aufmerksamkeit schien ganz und gar auf die Vorgänge im Burghof gerichtet zu sein. Voller Hoffnung begann Rainas Herz, schneller zu schlagen.
Sie konnte fliehen!
Heilige Muttergottes, war es denn möglich, dass es so einfach war? Würde sie am helllichten Tag davonspazieren können? Rutledge war wirklich ein Narr, wenn er angenommen hatte, dass ihr dieser Gedanke nicht käme. Oder ging er davon aus, sie würde sich nicht trauen? Vielleicht glaubte er auch, dass Agnes’ Anwesenheit Sicherheit genug war. Raina warf vorsichtig einen Blick über die Schulter und lächelte.
Agnes war vertieft in ihre Wäsche und ihr Lied und würde sie vermutlich erst vermissen, wenn sie schon tief im Wald wäre. Außerdem würde die alte Frau mit ihren kurzen Beinen und ihrer beträchtlichen Leibesfülle niemals in der Lage sein, sie zu fangen, selbst wenn sie sie verfolgen sollte. Den Heiligen sei Dank, aber es schien alles darauf hinzudeuten, dass sie sich befreien konnte!
Raina warf die Tunika auf die Erde und schickte sich an, in den Schutz des Waldes zu fliehen.
»Mylady, das würde ich nicht tun.«
Die jugendlich männliche Stimme ließ Raina abrupt stehen bleiben. Ihre Schultern fielen herunter, als sie sich umwandte und sich Rutledges Knappen gegenübersah. Er schaute sie von seinem grasenden Pferd herunter fast entschuldigend an. Agnes’ Pfeifen war verstummt. Sie stand jetzt bis zu den Oberschenkeln im Wasser und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Ihr Stirnrunzeln wirkte finster und geradezu mörderisch.
Rainas Verstand arbeitete schnell, um eine vernünftige Erklärung für ihr Verhalten zu geben. »Ich – ich habe nur einen Moment der Ungestörtheit gebraucht, Mylord.« Sie lächelte den errötenden Squire gewinnend an.
»Lass sie das Lord Gunnar erklären, Junge«, rief Agnes aus dem Teich. »Er wird ihr einen Moment der Ungestörtheit geben, würde ich meinen!«
Der Knappe runzelte nachdenklich die Stirn. »Vielleicht hat sie recht«, sagte er schließlich. »Mylord hat mich geschickt, Euch zu bewachen. Er sollte von Eurem Fluchtversuch erfahren – «
»Flucht?« Raina täuschte Überraschung vor. Sie trat näher und senkte ihre Stimme zu einem gespielt demütigen Flüstern. »Ich versichere Euch, Mylord Squire, dass ich mich nur erleichtern wollte. Ich bitte Euch, erlasst mir – und auch Euch selbst nicht zuletzt – eine weitere Demütigung und erwähnt Eurem Lord gegenüber dieses Missverständnis nicht.«
Inzwischen war Agnes aus dem Teich gewatet und hatte das Ufer erklommen. Sie trat zu Raina und dem Knappen, ihre Röcke waren klitschnass, und das Wasser tropfte aus dem Stoff, der ihr an den Waden klebte und ihre großen, schinkengleichen Füße freigab. »Ihr werdet eine schreckliche Tracht Prügel dafür bekommen, Frau«, sagte sie mit einem hämischen, verbissenen kleinen Grinsen.
Raina schaute den Squire flehend an, dessen Miene ihr verriet, dass Agnes mit ihrer Vermutung wahrscheinlich recht hatte.
»Sie sagt,
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