Ritter 01 - Die Rache des Ritters
nicht.«
»Warum hast du es dann getan?«
Der Squire schwieg lange, und als er schließlich antwortete, konnte Gunnar die geflüsterten Worte kaum verstehen. »Sie hat mir leid getan. Sie hat geweint, Mylord, ganz schrecklich geweint.«
Gunnar empfand einen Anflug von Schuldgefühl, tat es aber mit bitterem Spott ab. »Eine clevere Masche von ihr, wahrscheinlich nur dazu gedacht, dich zu verleiten, ihr zu helfen.« Er nahm einen Schluck aus der Flasche und begegnete Alarics brennendem Blick.
»Das glaube ich nicht, Mylord. Sie ist eine sanfte Lady, und auch wenn sie d’Bussys Tochter ist, so ist ihr Herz doch rein. Ich weiß, was ihr Vater Euch angetan hat, ich verstehe Euer Bestreben, ihn zu vernichten, sehr gut, aber ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie durch Eure Hand leiden könnte.«
»Herrgott«, stieß Gunnar hervor und begann, hin und her zu gehen. Glaubte denn hier jeder, dass er unfähig war, seine Triebe zu beherrschen? War er in den Augen der anderen so unzivilisiert wie ein wildes Tier? Er konnte Rainas Angst vor ihm verstehen – verdammt, er traute ja nicht einmal sich selbst, wenn sie in seiner Nähe war – , aber die Tatsache, dass Alaric seine Ehre anzweifelte, verletzte Gunnar tief. Was war aus ihm nach Ansicht des Jungen geworden? Aber noch wichtiger – warum sollte es verdammt noch mal für ihn von Belang sein, was der Junge über ihn dachte? Gunnar blieb stehen und lehnte die Stirn gegen einen der Pfeiler, die das Stalldach stützten. »Du verstehst das nicht – «, begann er, aber Alaric fiel ihm ins Wort.
»So geht es zu im Krieg, ich weiß, aber ich hätte nicht von Euch erwartet, dass Ihr – « Die Stimme des Knappen verstummte plötzlich. »Ich kann meine Enttäuschung nicht verleugnen, Mylord.«
Gunnar fuhr herum und starrte den Jungen ungläubig an. » Du bist enttäuscht? Von mir? «
Alaric sah ihn nicht an. »Es stand mir nicht zu, Lady Raina zu trösten, und dafür entschuldige ich mich, aber sie so weinen zu hören … Ich war machtlos dagegen.«
»Eine Schwäche, an die dein Rücken dich ein Leben lang erinnern soll, Bursche.« Die Heiterkeit in Gunnars Stimme ließ die Drohung eher nur wie einen Tadel klingen, und er verzog das Gesicht. Dann räusperte er sich und begann von Neuem hin und her zu gehen. »Habe ich dir in diesen vier Jahren denn gar nichts beigebracht? Ein Ritter – zur Hölle, ein Mann! – kann es sich nicht erlauben, Opfer seiner Gefühle zu werden, Alaric. Es ist eine schmerzhafte Lektion, die man lernen muss, aber lernen musst du sie, wenn du überleben willst.«
»Aye, Mylord.« Ein nachdenklicher Ausdruck legte sich auf das Gesicht des Jungen; dann griff er nach dem Saum seiner Tunika und zog sie sich über den Kopf. Seine Schulterblätter stachen durch die blasse Haut seines schmalen Rückens, als er die Tunika auf den Boden warf. Bei allen Heiligen, hatte doch Gunnar fast den Grund vergessen, warum sie in den Stall gegangen waren. Alaric, der Junge, der so erfüllt war von Stolz und Ehre, hatte es nicht vergessen. Er kniete sich in das Stroh und schlang die Arme um den Pfeiler vor ihm.
Mit einem Stirnrunzeln steckte Gunnar die Fackel in die eiserne Halterung an einem der Stützpfeiler. Mit Schritten, die schwer waren von Wein und Schuldgefühlen, griff er nach der Peitsche, die in der Nähe hing. Ein Pferd wieherte leise wegen der Störung und bewegte sich in seinem Stall. Gunnar nahm seinen Platz einige Schritte hinter Alaric ein und entrollte langsam die Peitsche, sein Griff wurde fester und lockerte sich wieder, als er auf Alarics blasse Haut starrte.
An seiner Schläfe begann eine Ader zu pochen. Übelkeit breitete sich in seinem Magen aus. In der Hoffnung, seine Unentschlossenheit damit zu besiegen, setzte Gunnar die Flasche erneut an die Lippen und nahm einen großen Schluck Wein, hieß das Brennen in seiner Kehle willkommen und wünschte, er könnte bei dem Jungen wieder den Platz von vor vier Jahren einnehmen. Wünschte, er würde wieder sein Vorbild sein. Herrgott, er hasste es zutiefst, das hier tun zu müssen! Er hatte niemals die Hand gegen jemanden erhoben, der schwächer war als er, und er hatte sich geschworen, es auch niemals zu tun. Er wischte sich mit dem Unterarm den Mund, blinzelte die Schuldgefühle fort, die ihm in den Augen brannten.
Dies hier war etwas anderes. Er hatte keine Wahl; er musste ein Exempel statuieren oder er würde riskieren, die Kontrolle über seine Männer zu verlieren. »Du verstehst
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