Ritter 01 - Die Rache des Ritters
es«, flüsterte Gunnar heiser. »Ich muss es tun … «
»Aye, Mylord, ich weiß.« Alarics Stimme, obwohl ruhig, klang stärker als die Gunnars und war voller Entschlossenheit. »Ich werde Euch keine Schande machen … oder mir selbst … , indem ich um Gnade bitte.« Gunnar hörte, wie der Atem des Jungen sich in dessen Kehle sammelte, bevor er einen zerrissen klingenden, schweren Seufzer ausstieß. »Wann immer Ihr bereit seid, Mylord.«
12
Raina fiel der Kopf auf die Brust, und sie schreckte hoch – wohl zum hundertsten Mal, wie sie glaubte. Sie saß auf einer Strohmatratze und lehnte mit dem Rücken an der Wand. Sie hatte darauf gewartet, dass Rutledge in sein Zimmer zurückkehrte, weil sie gehofft hatte, dass er seine Meinung über die Bestrafung Alarics geändert hatte. Und sie wollte hören, ob es dem Jungen gut ging. Aber nachdem Stunde um Stunde vergangen und die Nacht langsam der Morgendämmerung gewichen war, wurde ihr klar, dass sie vergeblich gewartet hatte. Und nicht nur, dass Rutledge wahrscheinlich seine Drohung wahrgemacht hatte – sondern dass er sein trauriges Tun die ganze Nacht über ausgeübt hatte, da sein Bett unbenutzt war. Dieser herzlose Kerl!
Sie stand auf und blickte aus dem Fenster, das zum Hof hinausging. Weder Mensch noch Tier rührten sich unten im Hof. Nichts wies auf die Ereignisse hin, die vor nur wenigen Stunden stattgefunden hatten, nichts auf die Konsequenzen, die darauf gefolgt waren.
Raina setzte sich auf den breiten Mauervorsprung und atmete tief die kühle Luft ein. Sie roch frisch und belebend, und der berauschende Duft der Freiheit ließ ihren Puls schneller schlagen. Die Morgendämmerung trat zögernd hinter dem Horizont hervor, auch wenn die Sonne noch zu schüchtern war, um über den Kamm der fernen Hügelkette zu spähen. Der Turm und die ihn umgebende Landschaft lagen ruhig und friedlich da. Raina konnte sich fast vorstellen, zu Hause zu sein, auf Norworth, wo sie auf dem Fenstersims saß und den Tag begrüßte, wie sie es unzählige Male zuvor getan hatte. Wie sehr wünschte sie sich, zu Hause zu sein … fort von diesem Ort.
Fort von ihm.
Fort von den Gefühlen, die er in ihr weckte.
Ihr Blick wanderte zu dem breiten, leeren Bett und sie fragte sich, wie es aussah, wenn er darin schlief. Würde er die ganze Breite des Bettes beanspruchen oder eher ganz still im Schlaf liegen, mit derselben Selbstkontrolle und Selbstdisziplin, die er zeigte, wenn er wach war?
Ein Zittern durchlief sie, als sein Bild vor ihr auftauchte: Er lag nackt auf dem Bauch in diesem Bett und sie – Himmel hilf! – konnte sich mühelos vorstellen, neben ihm zu liegen. Und wenn sie so etwas dachte, dann war sie nahe davor, es auch zu tun.
Wie konnte sie nur diesen Mann begehren ? D enn Begehren war es zweifellos. Wie konnte sie all das ignorieren, was er war und, in der Tat, was alles nicht? Wie konnte sie etwas anderes als Verachtung für ein Ungeheuer wie ihn empfinden? Was für eine Art Närrin war sie, sich nach seiner Berührung zu sehnen? Im Licht all dessen, was er getan hatte … trotz allem, was er tun würde … sie begehrte ihn.
Oh Gott, eigentlich müsste sie für Alaric beten – und für ihre sündige Seele – , aber stattdessen dachte sie an Rutledge und entwickelte Fantasien über ihn.
Schritte waren jetzt auf dem Gang zu hören und hielten sie davon ab, sich noch weiter in solch verräterischen Träumen zu verlieren. Die Schritte kamen so leise näher, als versuchte jemand, nicht gehört zu werden. Wer würde um diese frühe Stunde so herumschleichen, wenn alle noch in ihren Betten lagen? Raina ließ sich vom Fenstersims herab und starrte auf die Tür, die sich sehr langsam öffnete.
Rutledge schlüpfte mit der trittsicheren Heimlichkeit einer Katze durch einen Spalt herein und schloss die Tür ohne einen Laut. Dann wandte er sich um und begegnete Rainas überraschtem Blick. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und warf ihm einen herrischen Blick zu, aber er stieß lediglich ein unwirsches Brummen aus, warf ihr einen missbilligenden Seitenblick zu und ging an ihr vorbei.
Sie bemerkte sofort sein mitgenommenes Äußeres, die dunklen Schatten unter den Augen, den angespannten und erschöpften Gesichtsausdruck. Er sah so erledigt aus, als sei er die ganze Nacht wach gewesen. Seine Leinentunika war zerknittert, sein Haar war zerzaust und hing ihm ins Gesicht. Offensichtlich hatte seine Grausamkeit ihn den größten Teil der Nacht wach gehalten. »Ihr seht
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