Ritter 01 - Die Rache des Ritters
drang Alarics zittrige Stimme durch den köstlichen Schleier, der sie vom Rest der Welt abschirmte. »Mylord? Ich bringe Euch Euer Bier.«
Raina löste sich als Erste von dem Kuss, die Lider niedergeschlagen wich sie hastig von ihm zurück bis in die fernste Ecke der Kammer. Gunnar starrte sie einen Moment lang wie hypnotisiert an. Er war wütend über die Unterbrechung und wollte, dass der Junge verschwand. Als Raina sich die zitternde Hand auf den Mund presste, wusste er, dass der Augenblick vorüber war. »Herein!«, rief er, und seine Stimme klang barscher, als er gewollt hatte, rau von unbezwungener Leidenschaft. Ihm war unbehaglich, als Alaric die Tür öffnete und mit dem gewünschten Bier eintrat.
Das Schweigen in der Kammer war greifbar, und Gunnar wusste, dass der Junge schon ein Narr hätte sein müssen, um nicht zu ahnen, dass etwas geschehen war. »Vergebt mir die Störung, Mylord«, murmelte Alaric, als er den Becher neben Gunnar abstellte und rasch einen Blick in die Ecke warf, in der Raina stand. »Wünscht Ihr sonst noch etwas?«
Gunnar entließ ihn mit einem knappen Winken und einem Kopfschütteln. Als die Tür sich hinter dem Jungen geschlossen hatte, stand er auf und betrachtete seinen Arm. »Nähen könnt Ihr besser als Wäsche waschen«, sagte er in dem jämmerlichen Versuch, zu scherzen.
Sie schwieg. Nein, sie würde ihn nicht einmal ansehen. Er hatte sich Freiheiten herausgenommen, die er sich geschworen hatte, nicht herauszunehmen. Er hatte ihren Mund geplündert und sich ihr fast aufgezwungen – trotz seiner Zusicherung, sich fernzuhalten. Und jetzt versuchte er, Konversation zu machen. Sie musste ihn verachten. »Ach, was soll’s, verdammt noch mal«, stieß er hervor und wandte sich ab, um das Zimmer zu verlassen.
In diesem Moment hörte er ihr Keuchen.
Auch ohne sich umzudrehen, wusste er, was ihre Abscheu hervorgerufen hatte. Er wusste es, weil er die gleiche Reaktion von jedem erfuhr, der die Gelegenheit bekam, einen Blick auf seinen Rücken zu werfen.
Seine Narben.
Er streckte die Hand nach der Tür aus und war bestrebt, aus dem Zimmer zu kommen, weil er nicht den Ausdruck des Entsetzens auf ihrem Gesicht sehen wollte.
»Gunnar«, rief sie leise.
Er konnte sich nicht erinnern, dass sie ihn je bei seinem Vornamen genannt hatte. Der Klang war so unendlich zart und schickte dennoch ein Beben durch ihn, das er ihn so heftig wie einen Blitzschlag bis in sein Herz fühlte. Sie wird meinen Namen nicht immer mit solcher Zärtlichkeit aussprechen, dachte er. Es würde der Tag kommen, und zwar schon bald, an dem sie ihn mit dem gleichen Hass ausspeien würde, den er einst für Luther d’Bussy empfunden hatte. Er konnte nicht ändern, was geschehen war, konnte nicht ändern, wer er war. Und er würde sich nicht gestatten, an das zu denken, was sein könnte. Er presste die Zähne aufeinander und blieb stehen, ohne sich zu ihr umzudrehen.
»Gunnar, was ist mit dir geschehen?«
In diesem Augenblick wollte er ihr wehtun, wollte sie mit einem einzigen Wort vertreiben und sich selbst die Erinnerungen ersparen … und die Hoffnung.
»Sag es mir«, drängte sie ihn sanft. »Wer hat dir das angetan?«
»Dein Vater«, erwiderte er voller Bitterkeit. Dann öffnete er die Tür und verließ die Kammer, ohne sich umzusehen.
15
Wenn es seine Absicht gewesen war, sie zu verletzen, dann war ihm das auch gelungen. Als habe man ihr einen Schlag versetzt, sank Raina auf die Knie. So schmerzlich es gewesen war, aber sie hatte vermutlich eine Erinnerung daran gebraucht, was sie an diesen Ort gebracht hatte, in seine Arme.
Ihr Vater … seine angeblichen Verbrechen.
Obwohl Raina verzweifelt wünschte, Gunnars Behauptungen anfechten zu können, wusste sie jetzt, dass er kein Mann war, der leichtfertig jemanden anklagte. Wer immer auch für die schrecklichen Narben verantwortlich war, die Gunnars Rücken zerstört hatten, es war die schlimmste Art von Ungeheuer. Herzlos, gewissenlos. Sie verstand jetzt, warum Gunnar mit einer solchen Heftigkeit hasste, denn sie fühlte ihre eigene Wut bei dem Gedanken an das brennen, was er hatte erleiden müssen. Und seine Familie verloren zu haben … so allein zu sein.
Aber ihr Vater?
Was Gunnar gesagt hatte, konnte nicht die Wahrheit sein. Es konnte nicht sein! Die Verwicklung ihres Vaters in etwas derart Verabscheuungswürdiges einzugestehen würde bedeuten, zugeben zu müssen, dass ihr ganzes Leben auf Lüge und Verrat aufgebaut war. Es würde bedeuten, dass
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