Ritter des dunklen Rufes
ist es jetzt warm, und mir wäre wohler, wenn du dich zu uns gesellen würdest. Vielleicht können wir uns unterhalten. Der Tod ist nur sehr selten die Antwort auf etwas.«
»Sei nicht albern, Junge. Der Tod ist die letzte Antwort auf alles. Er ist das Ziel jeder Reise, er bedeutet Frieden und das Ende aller Kämpfe.«
»Ja«, gab Errin zu, »aber er ist auch das Ende von Lachen und Freude, von Kameradschaft, von Liebe. Und vor allem ist er das Ende aller Träume und Hoffnungen.«
»Ach ja, aber für einen Mann ohne Träume und Hoffnungen hält der Tod keine Schrecken bereit. Ist dir schon mal aufgefallen, dass je mehr wir lieben, desto größer unsere Traurigkeit ist? Denn letzten Endes enden alle Dinge. Kein Traum wird jemals völlig erfüllt.«
»Könnte man es nicht andersherum ausdrücken?« meinte Errin. »Je größer unsere Traurigkeit, desto größer auch unsere Freuden. Wie könnten wir das eine erkennen ohne das Gegengewicht des anderen?«
»Beantworte mir dieses, junger Streiter: Wenn ein Mann eine Frau vierzig Jahre lang liebt, sie verehrt, für sie lebt, wie groß ist dann der Schmerz, wenn sie stirbt und ihn allein zurücklässt? Wenn er die Wahl hätte und noch einmal von vorn beginnen könnte, wäre er nicht klüger, die erste Begegnung zu vermeiden und sein Leben ohne Liebe zu verbringen?«
Errin lächelte. »Bedauert ein Mann im Winter den Sommer? Würde er es vorziehen, sein Leben im ewigen Herbst zu verbringen? Das ist kein gutes Argument, Herr. Komm herein und freu dich am Feuer.«
»Das Feuer ist gleichgültig, aber ich komme mit dir.« Der alte Mann stand geschmeidig auf, bürstete sich den Schnee von den Kleidern und folgte Errin hinein. Sheera schlief am Feuer, und Ubadai schärfte die alte Axt. Er sah zu dem alten Mann auf.
»Noch nicht tot, wie?« sagte der Nomade.
»Noch nicht«, gab der alte Mann zu.
Errin schloss die Tür und ging zum Feuer, um die Hände der wohltuenden Wärme entgegenzustrecken. Er zog Umhang und Übertunika aus, so dass er die Wärme am ganzen Körper spüren konnte. »Wie konntest du nur so lange da draußen sitzen?« fragte er den alten Mann.
»Fühl meine Hand«, sagte der Fremde. Errin nahm sie und stellte fest, dass sie wärmer war als seine eigene.
»Unglaublich. Wie machst du das?«
»Er ist ein Zauberer«, sagte Ubadai. »Das hätte ich dir gleich sagen können.«
»Bist du ein Zauberer, Herr?« fragte Errin.
»So etwas Ähnliches. Ich bin der Dagda. Aber ich benutze keine Zaubersprüche – ihr seid hier sicher.«
»Welche Form hat deine Magie?«
»Frag nicht!« fuhr Ubadai ihn an.
»Ich sage die Wahrheit«, antwortete der Dagda, »und ich sehe all die wirbelnden Farben im Kreis des Lebens: die Vergangenheit, die Gegenwart und alle Zukünfte.«
»Du sagst die Zukunft voraus«, meinte Errin. »Kannst du das auch für mich tun?«
»Das könnte ich, Graf Errin. Ich könnte dir alles erzählen, was das Leben noch für dich bereithält.«
»Dann tu es bitte.«
»Nein. Siehst du, ich mag dich.« Er wandte sich an Ubadai. »Aber dir werde ich es sagen, wenn du es wünschst.«
»Pah. Mir nicht. Alle Schamanen sind gleich: Tod, Verzweiflung, Unglück. Du sagst mir nichts, alter Mann.«
»Sehr weise, Ubadai«, sagte der Dagda lächelnd.
»Wirst du mir eine Frage beantworten?« bat Errin.
»Vielleicht.«
»Kann das Böse des Königs besiegt werden?«
»Bist du sicher, dass Ahak böse ist?«
»Siehst du in seinen Taten Gutes?« entgegnete Errin.
»Wir sprechen von dem Mann, der die letzte siegreiche Armee angeführt und erfolgreich ein friedliches Ende der Tage des Großreiches verhandelt hat. Wir sprechen von dem König, der gesetzliche Neuerungen eingeführt hat, um den Armen zu helfen, der eine Sondersteuer erhoben hat, damit Lebensmittel an die Bedürftigen verteilt werden können. Und hast du die kostenlose Medizin für Kranke und Mittellose vergessen?«
»Das habe ich nicht vergessen«, sagte Errin. »Aber ich kann auch nicht das Massaker an den Nomaden vergessen oder die abscheulichen Dinge, die jetzt in der Hauptstadt vor sich gehen.«
»Und was sagt dir das alles?«
»Dass der König böse geworden ist.«
»Das sagt es tatsächlich, Graf Errin. Aber das entscheidende Wort ist ’geworden’. Etwas ist in das Reich eingedrungen und verdirbt alles, das es berührt.«
»Darüber weiß ich nichts«, sagte Errin leise, »aber wo es auch herkommt, kann man es überwinden?«
»Die Antwort muss ja lauten. Die meisten Übel entspringen
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