Ritter des dunklen Rufes
sie sich bei uns niederlassen können.«
»Das ist sehr freundlich von euch.«
»Es ist nicht nur Freundlichkeit, Manannan. Wir haben hier in den letzten dreißig Jahren unter furchtbaren Plagen gelitten, und es gibt nur noch wenig Menschen, die das Land bestellen und für unsere Bedürfnisse sorgen können. Das Land braucht neues Blut. Im Norden haben sich bereits etwa zweitausend Nomaden angesiedelt. Wenn Samildanach zurückkehrt, kannst du vielleicht die neuen Städte besuchen, die sie bauen.«
Am fünften Tag war Manannan sehr unruhig. Er fühlte sich stark wie ein Löwe, aber nervös. Er sprach zu Paulus über sein Gefühl. Paulus lächelte und klopfte ihm auf die Schulter. »Du musst das verstehen«, sagte der Gelehrte, »das Ambria wirkt in dir, es baut deinen Körper wieder auf und macht ihn stärker als je zuvor. Es sorgt auch dafür, dass du dir deines Körpers mehr bewusst bist. Was du brauchst, ist Gesellschaft im Bett.«
»Ich habe Keuschheit gelobt«, hatte Manannan erwidert.
»Wirklich? Zu welchem Zweck? Der Mensch ist dazu geschaffen, sich zu paaren. Vertrau mir, Manannan.«
In jener Nacht hatte er Draya zu ihm geschickt, und sie war göttlich anzuschauen und ebenso klug, geistreich und charmant. Sie hatten gemeinsam einen Krug Ambria getrunken und sich dann die ganze Nacht geliebt. Und Paulus hatte recht gehabt: Die Spannung in Manannan war verflogen, er fühlte sich entspannt und frisch, eins mit dieser neuen Welt. Nach Draya hatte er Senlis, Marin und andere genossen, an deren Namen er sich nicht mehr erinnern konnte.
Die Freude an all diesen Dingen war fast mehr, als er ertragen konnte.
Die Stadt der Vyre kam Manannans Vorstellung vom Paradies sehr nahe. Sie hatte alles außer einem allmächtigen Gott und, um der Wahrheit die Ehre zu geben, gerade dies machte sie noch besser als das Paradies. Hier gab es keine Richter, das einzige Gesetz schien ’Freude’ zu lauten.
Und die Tage vergingen. Manannan las die Bücher der Vyre, lernte ihre Gedichte, besichtigte ihre Gemälde und Skulpturen, liebte ihre Frauen. Der Einstige Ritter war zum ersten Mal in seinem Leben zufrieden.
Bald würde Samildanach zurückkehren, und sie würden heimreiten, um Ollathair zu retten, dem Reich wieder zu Recht und Ordnung zu verhelfen und dann hierher zurückzukommen, um den Lohn der Gesegneten zu genießen.
Am sechzehnten Abend schlief Manannan mit diesen Gedanken ein. Er erwachte mitten in der Nacht, zitternd vor Kälte, und griff nach dem Ambria, fand den Krug jedoch leer. Er fluchte und stand auf er war sicher, dass er noch halbvoll gewesen war, als er einschlief, aber Paulus würde noch mehr haben. Als er aufstand, sah er eine Gestalt im Sessel am Fenster sitzen – mit dem Rücken zum Mondlicht, so dass das Gesicht im Schatten lag.
»Wer bist du?« fragte er. »Egal. Lass mich eben etwas zu trinken holen, dann können wir uns unterhalten.«
»Du brauchst etwas zu trinken, um dich unterhalten zu können?« entgegnete sie. Ihre Stimme war tief und leise. Etwas regte sich in Manannans Erinnerung, jedoch verschwommen wie Frühnebel, und verschwand, als er danach greifen wollte.
»Nein, natürlich nicht. Aber mir ist kalt.« Er ging auf die Tür zu.
»Dann leg dir eine Decke um die Schultern. Du siehst albern aus, wie du so nackt dastehst mit dem Krug in der Hand.«
»Wer bist du?«
»Eine Freundin, Manannan. Die einzige Freundin, die du hier hast.«
»Unsinn. Ich habe hier mehr Freundinnen gefunden als in meinem ganzen Leben zuvor.«
»Komm«, sagte sie, »setz dich hin und lass uns reden.«
»Ich brauche etwas zu trinken.«
»Da ist frisches Wasser«, bot sie ihm an.
»Ich brauche kein Wasser«, fuhr er auf.
»Nein«, gab sie zu, »du brauchst Ambria. Du brauchst den Nektar der Götter. Ist es schon zu spät für dich, Manannan?«
»Sprich nicht in Rätseln, Frau. Ich habe keine Zeit für so etwas, ich habe dich nicht hergebeten.«
»Nein, hast du nicht. Ich habe auch nicht darum gebeten, hier in dieser verfluchten Stadt zu sein. Aber so ist das Spiel des Lebens. Du bist ein Ritter der Gabala, und einst bedeutete das etwas für die Welt. Nur der Stärkste und Edelste konnte davon träumen, die silberne Rüstung zu tragen. Bist du stark, Manannan?«
»Ich war niemals stärker.«
»Dann lass mich dir eine Aufgabe stellen – keine schwierige Aufgabe. Bleib mit mir bis zum Morgengrauen hier sitzen – ohne das Zimmer zu verlassen, bis die Sonne aufgeht. Ist das zu schwierig, Herr
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