Ritter des dunklen Rufes
Mann blieb vor Lámfhada stehen.
»Ich bin der Dagda«, sagte er, »und du wurdest unter glücklichen Vorzeichen geboren.«
»Danke für deine Hilfe. Warum hast du Ruads Gestalt angenommen?«
Der Dagda zuckte die Achseln. »Es war eine notwendige Täuschung, die Furcht in Samildanach säen sollte. Außerdem«, fuhr er fort und setzte sich neben den Jungen, »kannte ich Ruad Ro-fhessa – und ich glaube, mein Trick hätte ihm gefallen. Wie kommst du zurecht, Lámfhada?«
Der Waffenmeister zuckte die Achseln. »Ich tue mein Bestes. Mehr kann ich nicht tun. Aber ich wünschte, Ruad wäre hier, um mich zu leiten.«
»Das ist zwar verständlich, aber ein Mann ist am stärksten, wenn er auf sich allein gestellt ist. Vergiß das nie. Du hast die Ritter, und ich glaube, die Quelle ist mit dir. Trotzdem wirst du viel erdulden müssen.«
»Das weiß ich alles. Als ich das Gold fand, sah ich alles, was sein könnte, alles, was sein sollte, und alles, was möglich wäre. Was ich nicht entdecken konnte, war, was sein wird. Gute Männer werden sterben, das weiß ich.«
»Alle Menschen sterben, ob gut oder nicht«, sagte der Dagda. »Und ich weiß, was du gesehen hast. Ich war bei dir, als du geflogen bist.«
»Du warst es, dessen Gegenwart ich spürte? Ich hatte gehofft, es wäre Ruad.«
»Sei nicht enttäuscht. Ich habe sehr lange auf dich gewartet.« Der Dagda kicherte. »Genau hundertzweiundvierzig Jahre! Kommt dir das sehr lange vor, Kind? Ja, ich sehe, das tut es. Nun, jetzt sind wir hier, und du hast viel zu lernen.«
»Was meinst du damit … auf mich gewartet?«
»Auf dich – oder jemanden wie dich. Ruad hätte es dir gesagt, wenn er am Leben geblieben wäre. Du wanderst mit dem Gold, Lámfhada, und das ist sehr selten. Es ist etwas ganz Besonderes. Alle Farben unterstehen dem Gold, und es ist Teil der Großen Harmonie. Wenn die Farben bedroht sind, scheint das Gold. Das Rot schwillt an über dem Reich, aber die es benutzen, verstehen die Harmonie nicht. Sie versuchen, das Rot vorherrschen zu lassen, aber keine Farbe kann für sich allein existieren. Wenn man dem Rot gestattet zu dominieren, verblassen und sterben die anderen Farben. Aber das Rot kann auch nicht allein bestehen. So kommt es, dass jene, die das Rot vordringen lassen wollen, stattdessen alle Magie zerstören. Und ohne Magie hätte die Welt nur eine Farbe: und zwar das Grau – das Grau der Grabsteine, das Grau der Asche. Verstehst du?«
»Nein«, antwortete Lámfhada. »Die Magie wird doch nur von sehr wenigen angewendet. Wie könnte es der Welt schaden, wenn sie nicht mehr wäre? Noch immer würden Bäume wachsen, Blumen blühen. Es würden noch immer Kinder geboren?«
»Nein, das ist nicht der Fall. Alles Leben ist Magie, und alle Menschen spüren das. Sie sehen das Herrliche einer Morgendämmerung und sind erfüllt von einem Gefühl des Wunderbaren. Das ist Magie. Sieh dir den Blick in den Augen einer Mutter an, wenn sie ihr Erstgeborenes in den Arm nimmt und die Nabelschnur durchtrennt wird. Sie versteht Magie. In jenem Moment, für eine kostbare Sekunde, versteht sie. Aber wenn die Harmonie gestört wird – wie jetzt hier im Reich – und die Magie bedroht ist, gibt es nur noch Zynismus und Verzweiflung, und die eher brutalen Gefühle der Menschen brechen sich Bahn. Nein, mein Freund, die Welt braucht die Magie so nötig wie Luft und Wasser.«
»Wer bist du, Dagda? Was bist du?« fragte Lámfhada. »Bist du so etwas wie ein Gott?«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Ich bin ein Mensch. Nicht mehr, nicht weniger. Vor langer Zeit war ich in den Augen der Welt ein großer Mann. Aber ich entsagte meinem Leben und seinen Reichtümern, denn ich verlangte danach, alle Geheimnisse der Welt kennen zu lernen. Ich kam in diesen Wald und traf einen Mann – einen Mann, der siebenundachtzig Jahre auf mich gewartet hatte. Er war der Dagda. Und obwohl seine Geschichte anders war als meine, so wie deine anders sein wird als meine, waren wir doch gleich. Wir waren Glieder einer Kette, die begann, als der Mensch sich zum ersten Mal aufrichtete, und die enden wird, wenn die Sterne vom Himmel fallen und die Sonne stirbt … und vielleicht nicht einmal dann.«
Lámfhadas Mund war ausgetrocknet, er wünschte, dieser seltsame alte Mann würde ihn in Ruhe lassen. Als ob er seine Angst spürte, legte der Dagda ihm eine knochige Hand auf die Schulter.
»Wir – er und ich, du und ich – sind die Verzauberer. Wir beobachten die Farben, wir tragen sie. Wir
Weitere Kostenlose Bücher