Ritter des dunklen Rufes
keine strengen Muster, keine eisernen Gussformen. Wir sind nicht aus Bronze gegossen. Der Held Petric hat einmal eine Armee angeführt, die drei Städte ausgeplündert hat. Ich habe die Geschichten gelesen – seine Männer haben Tausende vergewaltigt und niedergemetzelt. Aber am Ende hat er einen anderen Weg gewählt.«
»Ich kann mich nicht ändern. Ich bin, was ich bin: ein entlaufener Sklave, der seinen Herrn umgebracht hat. Ich bin der Affe. Ich bin Grunzer. Und ich hatte nie Grund zu bedauern, was aus mir geworden ist.«
»Was bedrückt dich dann?«
Grunzer beugte sich vor und stützte die Arme auf die Knie. »Deine Geschichte war eine Lüge. Eine Schmeichelei. Und doch hat sie mich berührt … weil es die Wahrheit hätte sein sollen. Ich habe mich nie darum geschert, ob ich geliebt wurde. Aber heute Abend haben sie mich gefeiert, sie haben mich hochgehoben. Und das, Dichter, war der schönste Augenblick in meinem Leben. Es spielt keine Rolle, dass ich es nicht verdient hatte – aber ich wünschte, ich hätte.«
»Dann lass mich dich etwas fragen. Als du vor dem Ungeheuer standest und seine furchtbare Kraft sahst, hattest du da keine Angst?«
»Doch«, gab Grunzer zu.
»Und als es Arian angriff, ist dir da nicht in den Sinn gekommen, dass du getötet werden könntest, als du angegriffen hast, um sie zu retten?«
»Ich habe nicht an Rettung gedacht.«
»Aber du hast gesehen, dass es sie töten wollte?«
»Ja, das stimmt.«
»Und du hast das Ungeheuer angegriffen – und bist fast dabei umgekommen. Jeder Mann dort hat das gesehen. Du bist zu hart mit dir selbst. Es war heldenhaft, und es hat alle berührt, die es sahen.«
»Du verwirrst mich«, sagte Grunzer. »Sag mir, liebt Arian Llaw Gyffes?«
»Ich glaube schon«, antwortete Nuada.
Der Führer der Geächteten stand auf. »Ich wollte ihn töten lassen. Ich wollte sie mir nehmen – ob sie wollte oder nicht. Aber jetzt stehe ich in seiner Schuld, denn wenn er nicht auf das Biest gesprungen wäre, wäre ich jetzt tot und hätte den einzigen magischen Moment meines Lebens verpasst. Götter, bin ich müde. Und in diesem dicken Bauch ist zuviel Bier.« Er ging zur Tür, aber Nuadas Stimme hielt ihn auf.
»Herr!«
»Ja«, antwortete Grunzer, ohne sich umzudrehen.
»Du bist ein besserer Mann, als du weißt. Und ich bin froh, dass ich die Geschichte gut erzählt habe.«
Grunzer ging hinaus in den Schnee, und Nuada streckte sich wieder auf seinem Bett aus.
Fünf Tage lang tobte der Schneesturm über dem Wald. Gruppen von Jägern durchstreiften den westlichen Teil des Waldes und suchten nach Spuren von Ungeheuern. Ein riesiges Wolfswesen fand man tot in einer Schneewehe, man hörte kein Geheul mehr. Der Winter lag schwer auf dem Wald und den Bergen, und den Menschen widerfuhr eine Kälte, wie sie noch nicht einmal die Ältesten jemals erlebt hatten. In dem umzäunten Dorf blieben die Menschen den größten Teil des Tages in ihren Häusern und gingen nur hinaus, um Holz für ihr Feuer zu sammeln.
Von Grunzer sah man nur wenig, er begann, in den Bergen herumzustreifen und seine Männer zu meiden. Nuada verbrachte seine Zeit mit Arian und Llaw und hatte schon bald das Gefühl, vor Langeweile sterben zu müssen, ehe der Winter um war. Es gab nur wenige allein stehende Frauen im Dorf, und diese wenigen gingen einem Gewerbe nach, das er nicht unterstützen mochte.
Als die Tage vergingen, wuchs die Anziehungskraft von Cithaeron. Nuada hatte die Goldstücke, die Grunzer ihm gegeben hatte – mehr als genug für seine Überfahrt. Er stellte sich die Marmorpaläste, die schönen, willigen Frauen und – vor allem – den warmen, goldenen Sonnenschein vor. Weiche Betten, gutes Essen – mit Gewürzen oder Wein zubereitet – saubere Kleider und heiße Bäder. Er sah sich in einem blauen Meer schwimmen und die Sonne auf seinem Rücken spüren.
Er sprach mit Grunzers Männern. Anscheinend war die Königsstraße nach Pertia weniger als einen halben Tagesmarsch entfernt, und war man einmal auf der Straße, waren es nur noch zwei Tage bis Pertia.
Und trotzdem fand Nuada keinen Gefallen an der Reise.
Aber dann gab Grunzer seine einsamen Wanderungen auf und begann, düster brütend in der Halle herumzusitzen, die Augen auf Arian gerichtet. Falls Llaw es bemerkte, ließ er es sich nicht anmerken, aber der Führer der Gesetzlosen versuchte, ihn bei mehreren Gelegenheiten zu provozieren. Der ehemalige Grobschmied ließ sich jedoch nicht darauf ein. Nuada wusste,
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