Ritter des dunklen Rufes
Flüchtlinge scharten sich dankbar um sie. Das Kind auf Grunzers Arm erwachte, und er fütterte es mit dem letzten Rest Milch. Llaw Gyffes beobachtete ihn mit dem Kind, Grunzers blasse Augen verrieten keinerlei Gefühl. Als er spürte, dass er beobachtet wurde, gab Grunzer das Kind einer Frau mittleren Alters und ging zum Höhleneingang, wo er sich gegenüber dem hochgewachsenen Krieger niederließ.
»Ich mag Kinder«, bemerkte Grunzer. Seine dunklen Augen starrten Llaw herausfordernd an.
»Ich auch. Ich glaube, der Schneesturm ist vorbei – das Schlimmste haben wir erst einmal hinter uns.«
Grunzer blickte zum Himmel empor. »Keine Wolken. Es wird noch kälter werden.«
»Was willst du mit all den Leuten machen?« fragte Llaw. »Wie willst du sie ernähren, für sie sorgen? Und wie hat dich Nuada dazu überredet?«
Grunzer zuckte die Achseln. »Mein Kornspeicher ist voll, und sie können für ihre Mahlzeiten arbeiten. Sie können Bäume fällen, Holz sammeln. Die jüngeren Frauen können für meine Männer Bettgespielinnen sein, wie haben sowieso nicht genug Frauen. Drei Männer wurden neulich bei dem Kampf um eine Frau getötet.«
Llaw nickte. »Und die letzte Frage? Warum?«
»Darauf antworte ich dir nicht, Llaw Gyffes. Darauf antworte ich niemandem. Wenn ich mich entschließe, etwas zu tun, dann tue ich es. Vielleicht entscheide ich mich morgen, sie alle zu töten. Meine Entscheidung. Aber warum bist du mitgekommen?«
Llaw zuckte die Achseln. »Ich brauchte Bewegung. Ich kam mir vor wie ein Hund im Zwinger. Was macht dein Rücken?«
»Bei mir heilt alles schnell.«
»Du solltest auf Entzündungen Acht geben. Ich habe schon häufig gesehen, dass Kratzer von Tieren sehr, sehr schlimm wurden.«
»Hier nicht«, sagte Grunzer. »Die Luft ist gut für Wunden. Seit ich in den Wald gekommen bin, habe ich noch keinen Fall von Wundbrand gesehen.« Er schwieg einen Augenblick und dachte an die Schmerzen und die Angst, als die Klauen ihn erwischt hatten. »Das war ein mächtiges Biest, was?«
»Hat fast meine Axt zerbrochen.« , sagte Llaw. »Ist dir schon mal aufgefallen, was für Idioten wir waren, da so offen herumzusitzen?«
»Ein-, zweimal schon«, gab Grunzer zu. »Bislang haben meine Jäger noch sechs andere tot im Schnee gefunden. Kein Hinweis darauf, wo sie herkommen. Niemand hat jemals von etwas Ähnlichem gehört. Ich habe sogar Männer ausgeschickt, um den Dagda zu suchen und ihn um Rat zu fragen.«
»Du weißt, wo er lebt?«
»Nein, aber die Männer werden alle Dörfer aufsuchen, um etwas über ihn zu erfahren«, erklärte Grunzer. »Er wird davon hören, wo immer er auch ist.«
»Die wichtige Frage ist«, meinte Llaw, »wer hat diese Wesen geschickt? Und warum?«
»Sie geschickt?« fragte Grunzer. »Das ist doch keine Meute von Jagdhunden. Ich habe keine Leinen gesehen. Und kein lebender Mann könnte solche Wesen dressieren.«
»Erinnerst du dich an den Jungen? Er sagte, er habe beobachtet, wie es in einem Lichtblitz aus der Luft erschien. Unsere eigenen Jäger haben Spuren gefunden, die auf einem Hügel einfach anfingen. Nein. Jemand will Tod in den Wald bringen – und wir müssen herausbekommen, wer.«
»Das müssen wir allerdings«, stimmte Grunzer ihm zu, »falls du Recht hast. Aber ich bin noch nicht überzeugt. Teile des Waldes sind noch nie erkundet worden – Hochtäler, einsame Schluchten. Die Wesen könnten aus Mangel an Beutetieren dort vertrieben worden sein – oder einfach aus Neugier.«
»Vielleicht«, meinte Llaw, »aber du hast dieses Wolfswesen gesehen. Es war nicht völlig von Fell bedeckt, Brust und Bauch hatten dunkle Haut. Solch ein Tier lebt wohl kaum in einer Höhe, wo es sehr kalt ist. Und das andere Wesen, das wir tot in der Schneewehe gefunden haben? Die Kälte hat es umgebracht. Hast du je von einem Waldlebewesen gehört, das sich nicht auf den Winter vorbereitet?«
»Das ist ein überzeugendes Argument, aber wo führt uns das hin? Zu einem zaubernden Tierbändiger, der seine Meute in den Bergen loslässt? Wie können wir ihn finden? Oder ihn erkennen, falls wir ihn finden?«
»Ihn finden? Das können wir nicht«, gab Llaw zu. »Aber ein anderer Zauberer könnte das.«
»Ich nehme an, du willst auf etwas Bestimmtes hinaus?« fauchte Grunzer. »Hier sind nicht gerade viele Zauberer.«
»In meinem Dorf ist ein Bursche, der behauptet, Lehrling bei einem Mann der Magie namens Ruad Ro-fhessa gewesen zu sein. Wenn der Schnee schmilzt, werde ich ihn
Weitere Kostenlose Bücher