Ritter-Geist
Selbst wenn ich in Schußweite meines Pfeils gewesen wäre, glaube ich nicht, daß ich meinen Bogen benutzt hätte, denn hätte ich den Greif getötet, wäre die Greifin allein in ihrem Nest geblieben, unfähig, auf die Jagd zu gehen, ohne das Ei unbewacht zurückzulassen, und das wollte ich wirklich nicht. Sich mit einem Greif in einer offenen Schlacht zu messen, das ist eine Sache; den Nistablauf zu stören, ist dagegen eine völlig andere. Ja, ich weiß ja selbst, daß sich das töricht anhört, aber man kann ei n fach nicht lange in der Wildnis leben, ohne einen wirklichen R e spekt für die Lebewesen zu entwickeln, die dort wohnen. Diese Greife hatten es nicht auf Ärger abgesehen gehabt; der Pooka hatte sie in Aufruhr versetzt, weil ich ihn verfolgte, so daß die ga n ze Sache eigentlich meine Schuld war. Wenn ich im Recht bin, kann ich Lebewesen töten, aber nicht wenn ich im Unrecht bin. Folglich war ich, so oder so, ziemlich hilflos.
Der Greif landete auf dem Rücken des Pooka, und sein Schnabel schoß herab – worauf er gegen eine der Ketten prallte. Aua! Vom Schmerz verdutzt, wollte der Greif wieder davonfliegen, konnte es aber nicht, weil sich eine seiner Klauen in einer weiteren Kette verhakt hatte.
Der Pooka bäumte sich auf und versuchte, den Greif abzuwe r fen; der Greif wollte auch fort, konnte aber nicht. Dann jagte der Pooka unter einem tiefhängenden Ast hindurch, was ihn von dem Greif befreite, und zwar auf die harte Weise. Der Greif flatterte, überschlug sich in der Luft und stürzte rücklings zu Boden. Als er aufschlug, versprühte er kleine Sterne und Planeten des Schmerzes um sich herum. Mühsam richtete er sich wieder auf und ging in die Luft, ein wenig benommen, hinter sich eine Spur von Krakeln der Unsicherheit und Verwirrung ziehend. Er hatte den Pooka bereits vergessen, und der blieb nicht da, um ihn wieder an sich zu eri n nern. Der Greif kehrte schwitzend zum Nestbau zurück. Einen schwitzenden Greif sieht man äußerst selten! Ich selbst rannte hinter dem Gespensterpferd her.
Der Sumpf wurde immer sumpfiger, wie das eben so ist, und meine Stiefel wurden naß und matschig. Das gefiel mir überhaupt nicht, aber ich mußte dem Pooka nachsetzen. Dem gefiel das übr i gens auch nicht. Er schlug eine südliche Richtung ein, auf der S u che nach höhergelegenem Gelände, doch schon bald wurde es klar, daß die im Süden sichtbaren Berge noch viel zu weit entfernt waren, um ihm irgendwie zu nützen. Also kehrte er sich gen W e sten, und ich folgte ihm, und so stapften wir einer hellen Wand entgegen. Offensichtlich war dies nicht mehr das normale Revier des Pooka, so daß er sich seines Weges nicht sonderlich sicher war.
Je mehr wir uns der Wand im Westen näherten, desto heller wurde sie – und um so schlimmer wurde auch der Boden. Nun war er wirklich nur noch ein richtiger Sumpf – und plötzlich tauchten dreieckige bunte Flossen auf, die sich in schnellem Te m po dahinbewegten. Eine grüne Flosse näherte sich mir und erhob sich aus dem Schlamm; ich sah, daß es sich um einen großen Fisch mit einem Maul voll Zähne handelte. Der Fisch sprang mich an, Zähne zuerst, so daß ich mein treues Schwert herausriß und es dem Wesen in die Schnauze stieß.
»Oooh, aua!« schrie der Fisch und stürzte in den Schlamm z u rück. »Das hättest du nicht zu tun brauchen! Ich wollte dir nur irgend etwas leihen.«
Ich traute sprechenden Fischen nicht. »Und was wolltest du als Gegenleistung haben?«
»Nur einen Arm und ein Bein«, erwiderte er.
»Nun, ich bin nicht interessiert. Laß mich in Frieden, sonst…«
»Tu ich ja, wenn ich dir erst einen Kredit angedreht habe. Ich bin nämlich ein Kredithai.«
»Das ist mir völlig egal, ob du ein Kredithai oder ein Börsenhai oder ein Miethai bist, jedenfalls will ich deinen grünen Rücken nicht in meiner Nähe wissen! Hau ab, sonst hacke ich dir die Flosse ab.«
Der Gedanke, seinen Flossenrücken einzubüßen, behagte dem Fisch nicht, und so schwamm er hastig davon.
Der Pooka dagegen hatte größere Probleme. Drei der Flossen, eine rote, eine blaue und eine gelbe umkreisten ihn hungrig, wä h rend er fast in dem Schlamm versank. Er bahnte sich seinen Weg, der westlichen Wand entgegen, doch nun sah ich, daß es sich um eine Wand aus Feuer handelte. Das war gar nicht gut!
Ich stapfte auf ihn zu und schwenkte dabei mein Schwert, um die Fische zu verjagen. »Verschwindet!« schrie ich sie an, »sonst halbiere ich euch noch eure Zinsen!« Die
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