Ritterturnier auf Schreckenstein
langsam an. Sie mußte noch wenden und rollte winkend, daß die Kolbenringe rasselten, aus dem Burghof.
„Ein nützlicher Besuch. Gut eingefädelt!“ Hinter seiner Hornbrille zwinkerte der Rex. Dann nahm er die Freitreppe, zweistufenweise.
Das Gemeine an Vorurteilen ist die Schwierigkeit, sich dagegen zu wehren. Da behauptet einer steif und fest: Du bist ein Lügner! Das reicht, um alles zu verändern. Denn nun muß der Beschuldigte, der gar nicht weiß, wie ihm geschieht, sich verteidigen, und das, ohne etwas getan zu haben. Er macht den Mund auf, und schon höhnt der andere: Wer sich verteidigt, klagt sich an! Auf Dritte wirkt das wie ein Beweis. Der Beschuldigte scheint tatsächlich ein Lügner zu sein.
Dem genügt es jetzt nicht mehr, daß er sich verteidigt, jetzt muß er, aus heiterem Himmel beschuldigt, den Gegenbeweis erbringen. Aber wie? Wo einen hernehmen? Wie beweist man, daß man nichts gemacht hat, wenn man nichts gemacht hat? Wie beweist man zum Beispiel, daß man geschlafen hat, wenn man geschlafen hat? Zu sagen: Ich habe geschlafen! genügt nicht. Man braucht einen Zeugen, der gesehen hat, daß man geschlafen hat. Dieser Zeuge muß glaubwürdig sein, das heißt möglichst ein Fremder, der kein Interesse daran haben kann, den Beschuldigten in Schutz zu nehmen.
Mit solchen Fragen beschäftigte sich der Ritterrat nach dem Abendessen in der Folterkammer. Es war allen bitter ernst. Wurden die tatsächlichen Übeltäter nicht gefunden, konnte das letzten Endes zur Schließung ihrer geliebten Burgschule führen? Minderheiten sind wie dafür geschaffen, bei ihnen Strenge walten zu lassen. Die Mehrheit fühlt sich im Recht und macht es mit Vorliebe dort geltend, wo Fürsprache oder Widerstand am wenigsten zu erwarten sind.
Beinebaumelnd saß Mücke auf dem steinernen Richtertisch. „Wir sollten mal beim Roten Kreuz nachfragen, wann genau der Telefonanruf kam.“
„Gute Idee“, stimmte ihm Hans-Jürgen zu. „Vielleicht saßen wir da längst im Unterricht.“
„Dann könnten unsere Lehrer bezeugen…“
„Pfeifendeckel!“ fiel Klaus Dampfwalze ins Wort. „Die würden als Zeugen abgelehnt. Wegen Befangenheit.“
Das nachdenkliche Schweigen wurde nur vom Knarzen der Streckbank unterbrochen. Dampfwalze hatte sich wieder langgelegt.
Schließlich schlug Stephan mit der Hand auf den Richtertisch. „Es müßte sich doch feststellen lassen, woher der Anruf kam!“
„Kein Problem. Wenn man darauf wartet.“ In Elektrodingen wußte Ottokar Bescheid. „Nachträglich allerdings…“
„Und wenn wir mal zum Roten Kreuz gehen?“ fragte Dieter.
„Wer sich verteidigt, klagt sich an!“ Dichter Hans-Jürgen kannte sich bei Sprichwörtern aus.
„Telefonisch ist so feige…!“ schimpfte Andi.
„Aber raffiniert!“ entgegnete Mücke. „Die Täter sind hellwach. Die müssen sich auch medizinisch auskennen. Ich wüßte gar nicht, was für einen Text ich da reden sollte…“ Wieder schwiegen sie nachdenklich. Selber andere zu verdächtigen, widersprach den Regeln, die sich die Ritter gegeben hatten. Auch damit erwiesen sie sich als Minderheit.
„Merkwürdiges Trimester!“ Hans-Jürgen schüttelte den Kopf. „Ein Anruf – und alles ist blockiert: Stimmung, Schwung, Kontakte… Nicht einmal Unsinn mag man mehr machen!“
Leise quietschte die schwere, eisenbeschlagene Tür. Mini-Ritter Kuno stemmte sie auf. „Wichtige Neuigkeit!“ sagte er, um die Störung zu rechtfertigen. „Da kam ein Anruf aus Neustadt. Der Florian war’s. Ich soll euch sagen, daß wir morgen Besuch bekommen. Vom Roten Kreuz!“
„Schon wieder ein Bumerang!“ brummte Hans-Jürgen.
„Vielleicht gar nicht so schlecht“, meinte Ottokar. „Danke!“
Einige nickten.
Was sollte daran gar nicht so schlecht sein, fragte sich Klein-Kuno und schaute mit großen Augen in die Runde.
„Danke!“ wiederholte Ottokar.
„Ja… ich…“, stammelte der Mini. „Ich muß gehen. Ich hab’ nachher Wache.“
„Soso“, sagte Klaus väterlich. „Ein richtiger Ritter ist eben immer im Dienst.“
Wichtig stampfte der Mini die steile Stufe hinauf und bewegte die eisenbeschlagene Tür, bis sie wieder ins Schloß fiel.
„Wieso hat der Wache?“ fragte Schulkapitän Ottokar. „Die Kleinen sollen doch durchschlafen.“
„Dazu sind die viel zu aufgeregt. Die meinen immer, sie versäumen was“, sagte Dieter. Er bestimmte die Wachen aus dem Westflügel.
„Wo steht er denn?“ wollte Stephan wissen.
„Kein wichtiger
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