Ritualmord
was es kostet, denn der andere zog sofort ein Telefon hervor und berichtete es jemandem.« Sie deutete in die Richtung, wo ein polierter Baumstumpf gleich vor der Glastür als Sitzbank in den Beton eingelassen war. »Da vorn haben sie gehockt. Und nach dem Telefonat saßen sie einfach ganz still da, ohne einander anzusehen. Ich hatte das Gefühl, sie waren aus der Fassung und wagten nicht, miteinander zu reden, weil alles so furchtbar war. Aber so ist es eben«, sagte sie. »Vielen Leuten geht es hier so.«
Caffery betrachtete die sonnengesprenkelte Bank. »Wie war er denn?«, fragte er. »Der Freund? Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Er ist draußen geblieben und gar nicht hereingekommen.«
»Wissen Sie noch, wie er aussah?«
»Eigentlich nicht.«
»Sie erinnern sich an gar nichts? War er weiß? Schwarz?«
»Oh, schwarz«, antwortete sie, als läge das auf der Hand. »Aber wie er wirklich aussah, das weiß ich nicht mehr.«
»War er alt?« Sie schob einen Finger in den Mund und lutschte nachdenklich daran, während sie versuchte, sich zu erinnern. Sie war doch nicht so kultiviert, wie er zunächst geglaubt hatte - er bemerkte die Stellen an ihren Lippen, an denen der Konturenstift abgerutscht war. »Oder jung?«
»Ich weiß es wirklich nicht.«
»Groß?«
»Er hat gesessen.«
»Was hatte er an? Wie sahen seine Haare aus? Hatte er irgendetwas Ungewöhnliches an sich? Irgendetwas?«
»Kann sein, dass er ein weißes Hemd trug«, erwiderte sie. »Und vielleicht eine Jacke darüber. Aber ich weiß es nicht. Ich hab nicht darauf geachtet.«
»Okay«, sagte er schließlich, aber es klang ein bisschen vage. Wenn Tay dachte, Mabuza habe keinerlei Verbindung hierher, dann irrte sie sich. Es gab eine Verbindung, aber vielleicht wusste sie nichts davon.
»Okay.« Er klopfte seine Taschen ab. »Ich muss telefonieren. Ich gehe für zwei Minuten nach draußen.«
»Bitte.« Tay deutete zur Tür, und die cremefarbene Manschette rutschte an ihrem schlanken Arm nach oben. »Ich stelle Ihren Saft in den Kühlschrank.«
Draußen herrschten angenehme Temperaturen. Die Welt erwärmte sich, und niemand wusste, welche Teile dieses Landes in fünfzig Jahren noch über dem Wasserspiegel lagen. Die den Weg säumenden Bäume standen am Hang an der Südseite, alte einheimische Laubbäume und kleine orientalische Setzlinge spendeten dem Eingang von TIDARA Schatten. Er schaute zurück zum Empfang; Chloe und Tay wandten ihm den Rücken zu und beugten sich über irgendwelche Unterlagen. Er ging hinter die Bank, setzte sich halb auf die harte Rückenlehne, wo er von drinnen nicht gesehen werden konnte, und zog seinen Tabaksbeutel aus der Tasche. Das mit dem Telefonat war eine Lüge gewesen. Er brauchte eine Zigarette und Zeit zum Nachdenken.
Was ihn interessierte, war der Typ in dem weißen Hemd und der Jacke. Er zündete die Zigarette an, sog den Rauch tief in die Lunge und ließ das Gift in all die Winkel seines Körpers dringen, in denen es nichts verloren hatte. Jemand hatte auf dieser Bank neben Mossy gesessen, vielleicht an dem Tag, an dem er zuletzt lebend gesehen worden war. Irgendwie verdammt interessant. Er stieß den Rauch aus, ließ ihn sich wie eine Schlange hinauf in die Kiefernnadeln ringeln, sich zart um die Ginkgoblätter kräuseln und ins Blaue entschwinden.
Etwas in den Bäumen bewegte sich; er sah es aus dem Augenwinkel, doch als er sich umdrehte, war nichts da. Nur ein paar Schatten tanzten über das Laub vom letzten Jahr auf dem Boden. Angestrengt spähte er zu den Baumstämmen hinüber und versuchte herauszufinden, ob sich da ein Tier oder ein Ast bewegt hatte oder ob nur irgendetwas in seinem Hirn herumspukte. Dieser Teil der Welt besaß ohnehin etwas Unheimliches. Das Land hier hatte einst unter Wasser gelegen. Bis zum siebzehnten Jahrhundert war Glastonbury eine Insel gewesen. Dann hatte man die Somerset Levels trocken gelegt, das Städtchen Glastonbury war gewachsen - und mit ihm sein Ruf als Zentrum der Hexerei. Seltsam, dachte er, es war völlig egal, aus welchem Land und welcher Kultur man kam, irgendwo hatten Aberglaube und Hexerei immer ihren Platz. Tay hatte gesagt, das Ibogain werde von einem afrikanischen Stamm verwendet. Rituell verwendet, hatte sie gesagt. Rituell...
Er zog die TIDARA-Broschüre aus der Tasche, klemmte die Zigarette zwischen die Zähne und wühlte in der Brusttasche nach einem Stift. Dann legte er sich die Broschüre auf das Knie und zeichnete einen Kreis um das Bild der
Weitere Kostenlose Bücher