Ritualmord
Gedanken versunken, um zu bemerken, dass der Schatten im Korridor zurückgekehrt ist. Er schwebt da und beobachtet ihn nachdenklich mit gelben Augen, und er wäre geblieben, wenn sich da nicht eine Tür geöffnet hätte. Der Schatten huscht davon, als das Licht in den Korridor flutet. Man hört, wie eine andere Tür sich schließt, und im Hintergrund zischeln leise, bösartige Stimmen.
Mossy öffnet die schweren Lider. Sein Kopf ist geschwollen, aber er sieht Leute da draußen - nicht nur einen oder zwei, sondern mehr. Er sieht ihre Schatten an der Wand und hört ihre gemurmelten Drohungen. Jemand hebt die Hand, und es kommt zu einer Rauferei. Und noch ein Geräusch. Es fängt an wie ein heiseres Schluchzen und wird dann zu einem lang gezogenen Schrei, so hoch und dünn, dass es klingt, als würde da ein Mädchen schreien.
»Mach keinen Lärm«, zischt jemand. »Mach keinen Lärm, verflucht.«
Etwas Schweres, Plumpes fällt zu Boden, und sofort hört das Schreien auf.
Mossy ist jetzt wach. Er sitzt aufrecht und starrt auf das Gitter. Aus diesem Winkel kann er nichts sehen: Was immer da passiert, passiert unsichtbar für ihn, zu weit hinten im Korridor. Aber aufgrund der Geräusche hat er seine Vermutungen: Wer immer da geschrien hat, hat aufgehört, weil er zu Boden geworfen wurde, vielleicht k.o. geschlagen. Er vernimmt ein Würgen, und dann klatscht etwas, als würde Wasser auf den Boden gegossen oder als müsste sich jemand erbrechen. Dann Stille.
Mossy bleibt, wo er ist. Sein Herz macht Sprünge in der Brust, und er möchte weinen. Er betet, dass es Jonah ist, den er da hört, dass er endlich gekommen ist. Er wünscht es sich so sehr, dass er weiß, er wird ihn nicht freundlich willkommen heißen. Er wird ihn anschreien und würgen, denn das Schwein muss wissen, dass es jetzt zu spät ist, und was jetzt auch passieren
mag, was immer er durchmachen und welches Opfer er auch bringen wird - es ist alles nicht mehr wichtig. Nichts davon ist mehr wichtig, denn verflucht, er ist zu spät gekommen.
Caffery kam mit einem Satz durch die Plane ins Wohnzimmer, den Knüppel hinter dem Rücken, die Hand über der Brusttasche mit der Ausweismappe, sauber und effizient. Er mochte ruhig erscheinen, aber die Aggression war spürbar. Sein Blick erfasste den Raum: der dreihundertsechzig-Grad-Standard-Blick. Er war hinter einem großen Sofa in den Raum getreten, und an der Wand gegenüber stand ein Fernseher mit einem körnigen Schwarzweißbild: Ein junger Mann in einem Khakihemd drehte und wand sich auf einem Bett, und seine Schreie erfüllten den Raum. Ein Mann auf dem Sofa wandte ihm sein großes, wie gemeißelt aussehendes Gesicht zu, umgeben von einem Kranz grauer Locken.
»Kaiser Nduka?«, rief Caffery und übertönte die Schreie. »Sind Sie Kaiser Nduka?«
»Wer sind Sie?«
Caffery ließ seinen Ausweis aus der Tasche schnellen und hielt ihn ihm vor die Nase. Den Holzstiel hatte er immer noch schlagbereit für den Fall, dass dieser irre Vogel irgendetwas versuchen sollte. Flea befand sich nicht im Zimmer. Ein zerlegter Motor lag auf dem Boden, eine Gartenschere auf dem Tisch. Er behielt die Schere im Blick, während Nduka seinen Ausweis studierte. Seine große Nase zuckte, als könnte er ihn riechen. Schließlich lehnte er sich resigniert zurück. »Ich verstehe«, sagte er leise. Sein Gesichtsausdruck war ruhig, beinahe traurig, als wäre es eine schreckliche Schande, dass es so gekommen war. »Ich verstehe.«
Caffery ging vorsichtig um das Sofa herum und stieg über die Motorteile. Vor ihm war ein Wandschrank; die Tür stand offen, und er sah Reihen um Reihen von Videokassetten, mindestens
vierzig Stück, allesamt weiß etikettiert. Er nahm die Fernbedienung vom Tisch und schaltete den Ton ab. Die plötzliche Stille war fast ebenso schockierend, wie die Schreie es gewesen waren. Auf dem Bildschirm wand der Mann auf dem Bett sich in lautlosen Krämpfen und fuchtelte wie eine Marionette mit den Armen. Er hatte sich in die Hose gemacht, sah Caffery. Ein dunkler Fleck breitete sich auf dem Laken aus.
»Okay«, sagte Caffery. »Was hat diese Scheiße zu bedeuten?«
Nduka zuckte vielsagend die Achseln, als hätte er das Benehmen der Polizei satt, wüsste aber, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als mitzuspielen. »Das ist ein Experiment.«
»Ein Experiment}«. Cafferys Finger, die den Knüppel umschlossen, waren schweißnass. »Fuck, Sie sind doch irre. Sie haben dieses Video für Ihre Klienten gemacht, oder?
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