Ritualmord
Miene ging Nduka an ihm vorbei und auf langen steifen Beinen hinaus in die Dunkelheit.
Caffery ließ die Plane fallen und folgte ihm mit ein paar Schritten Abstand, den Holzstiel einsatzbereit in den Händen. Man konnte nicht viel erkennen, aber der Flur war mit einem alten, verschlissenen, farbverspritzten Teppichboden ausgelegt. Profilleisten aus dem Baumarkt klebten unfachmännisch in den Winkeln zwischen Wänden und Decke, und jemand hatte angefangen, die Tapeten abzureißen, und dann auf halben Wege wieder aufgegeben. Kalte, abgestandene Luft wehte hier durch, bei der Caffery sich die Nackenhaare sträubten.
»Die Videos wurden aufgenommen, als ich an der Universität war«, sagte Nduka vor ihm im Zwielicht.
»Halten Sie die Klappe, was die Videos betrifft.«
»Es waren Freiwillige. All die jungen Leute sind freiwillig dabei gewesen.«
»Ich habe gesagt, Sie sollen die Klappe halten. Sagen Sie mir lieber, was Sie mit ihr gemacht haben.«
Nduka blieb stehen. Er deutete zum Ende des Korridors, zu einer weiteren mit Plastik verhängten Tür. Dahinter strahlte ein blaues, ätherisches Licht, fast wie in einem Krankenhaus. Einen Augenblick lang blieben beide reglos stehen. Cafferys Herz schlug schneller, als er weiterging. Er holte tief Luft, schob die Plane beiseite und sah vor sich einen großen Wintergarten. Die Sonne schien schräg durch die staubigen Fenster. Der Raum war nicht gestrichen; er roch nach Terpentin und Lösungsmitteln. Und er war leer.
»Fuck .« Er drehte sich zu Nduka um. »Sie ist nicht da.«
»Oh, sie ist da«, sagte Nduka unbekümmert. Zur Rechten
führte eine hellblau gestrichene Tür zurück ins Haus. Er deutete mit dem Kopf darauf. »Da hab ich sie hingesetzt.«
Caffery hatte den Grundriss des Hauses ungefähr im Kopf, und er wusste, die Tür würde seitlich in die Küche führen. Automatisch ging er einen Schritt darauf zu, aber dann blieb er stehen. Seine Kehle schnürte sich ihm zu. Plötzlich fühlte er sich sieben Jahre zurückversetzt in die Vergangenheit, in einem kleinen Bungalow weit draußen auf dem Land in Kent. Er befand sich wieder bei einem Psychopathen, der ihm erzählt hatte, wo eine Frau zu finden war, einem Irren, dem es Spaß machte, Caffery loszuschicken, damit er sie fand und sah, was er mit ihr angestellt hatte. Es hatte nichts mit dieser Tür zu tun, sondern mit Ndukas Gelassenheit, die ihn daran erinnerte. Das, und vielleicht die Lage dieses einsamen Hauses hier.
Er ballte die Fäuste und löste sie dann wieder. Tat es noch einmal. Dann sah er Nduka von der Seite an. »Sie machen auf«, sagte er, und etwas krümmte sich unter seinem Brustbein. »Los. Machen Sie auf.«
Nduka presste einen Finger an die Schläfe. »Tja«, sagte er, »wenn ich muss...«
Er trat vor und drückte die Tür auf. Dahinter lag ein kleines, hellerleuchtetes Zimmer mit Bücherstapeln vom Boden bis zur Decke und einer tief hängenden Leselampe. Viel Platz gab es nicht; Tische und große Karteikästen waren voll von Papier, aber mitten drin saß Flea in einem schwarzen Sweatshirt. Ihr Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, und auf ihrem Schoß lag ein Stapel Papier. Als die Tür aufging, drehte sie sich um und machte ein verdutztes Gesicht.
»Sie?« Sie blinzelte. »Was machen Sie denn hier?«
Caffery antwortete nicht. Es war ihm egal, sagte er sich. Sie interessierte ihn einen Scheißdreck. Langsam sagte er es sich im Geist vor; seine Augen waren geschlossen, und die Sonne drang durch die Lider. Es ist dir egal, ob sie lebt oder stirbt.
51
18. Mai
Er war der Letzte, den sie erwartet hatte: Caffery stand ohne Jackett in Kaisers Wintergarten, Staub an den Hemdsärmeln, und in den Händen hielt er etwas, das aussah wie der Stiel einer Mistgabel. Gerade noch war sie in die dreißig Jahre alten, ihr von Kaiser gegebenen Unterlagen vertieft gewesen, und ein langsames Grauen hatte sie beschlichen, weil sie wusste, dass es irgendetwas mit ihrem Vater zu tun hatte - und im nächsten Augenblick füllte das Zimmer sich mit Licht und Luft.
»Kaiser?«, fragte sie, aber sein Gesicht war ausdruckslos, als wäre zwischen den beiden Männern etwas Furchtbares geschehen. Auch Cafferys Gesicht verriet nichts. Er sah sie nur mit wässrigen Augen an, und etwas arbeitete in ihm. Einen Moment lang dachte sie, er sehe traurig aus. Dann hatte sie den Eindruck, es sei nicht Trauer, sondern Zorn, und er werde sie schlagen. Und zum Schluss kroch etwas Kaltes in seinen
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