Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
Vom Netzwerk:
hatte, wurde die Fahrt holpriger. Die Zufahrt führte steil bergauf und war verwahrlost und voller Rillen und Schlaglöcher. Hoch wuchernde Schlüsselblumen hingen über dem Weg; sie streiften am Wagen entlang und hinterließen Blütenstaubspuren auf der Windschutzscheibe. Es war, als würde er durch einen Urwald fahren, als befände er sich in einem anderen Land, und bei einem Blick auf sein Handy war er nicht überrascht festzustellen, dass die Signalanzeige schrumpfte und dann durch das Bild eines durchgestrichenen Telefons ersetzt wurde.
    »Scheiße«, knurrte er. Er steckte das Telefon in die Brusttasche und fuhr ohne jedes Richtungsgefühl weiter, bis die überhängenden Bäume und Pflanzen hinter ihm zurückblieben. Er durchquerte eine kleine Wiese, und die Zufahrt erweiterte sich. Er befand sich ungefähr hundert Meter von einem baufälligen Haus aus den fünfziger Jahren am oberen Rand eines weiten Tals, umgeben von morschen Nebengebäuden entfernt. Unkraut spross aus dem Asphalt, Glasscheiben - vielleicht von demontierten Gewächshäusern - stapelten sich am Straßenrand, und ein paar der unteren Fenster des Gebäudes waren mit Brettern vernagelt. Es sah verlassen und vergessen aus, aber nicht der Anblick des Hauses ließ sein Herz heftiger schlagen, sondern das, was vor der Haustür parkte: ein silberner Ford Focus.
    Das Kennzeichen begann mit »Y9«. Fleas Kennzeichen fing mit »Y9« an, das hatte er am Morgen auf dem Parkplatz vor der Zentrale gesehen. Das war kein besonders außergewöhnlicher Zufall, es dürfte in der Gegend ein paar hundert silberfarbene Focus mit einem Y im Kennzeichen geben. Andere Dinge, die er auf dem Parkplatz bemerkt hatte, beunruhigten ihn mehr: das kleine Stück Stoff, das aus dem Kofferraum herausspitzte, als hätte sie achtlos den Deckel zugeschlagen und irgendetwas eingeklemmt, und die marineblaue Sport- 
    tasche auf der hinteren Ablage. Das konnte nicht auch noch ein Zufall sein.
    Caffery wandte sich dem Haus zu. Er konnte nicht sagen, warum, aber er hatte ein Bild vor Augen, ein Bild von unerklärlichen Dingen, die hier draußen passierten, von Leuten, die im Dunkeln barbarische Tänze aufführten. Kaiser war hierzulande einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Hexerei. Er hatte Verbindungen zu TIDARA. Etwas Kaltes kroch ihm den Rücken hinauf. Was hatte Mabuza gesagt? Die Intellektuellen hätten sich gegen ihn verschworen?
    Er bremste und fuhr im Schritttempo weiter. Leise und ohne Hast, um niemanden im Haus zu alarmieren, lenkte er den Wagen von der Zufahrt hinunter auf das Gras und wendete, sodass der Kühler zur Straße gewandt war. Er stellte den Motor ab, stieg aus und schloss die Tür mit leisem Klicken. Orte wie dieser hier, trostlos und ungepflegt, gefielen ihm nicht: Sie erinnerten ihn an einen Ort in Norfolk, wo er einmal gewesen war und Hinweise über Ewan zu finden gehofft hatte.
    Langsam ging er durch das Gras auf das Haus zu. Er hörte nur das Ticken des Motorblocks, der sich abkühlte. Eine Katze lag im Schatten einer Wassertonne; sie öffnete die Augen und musterte ihn aufmerksam. Er ging zur Seite des Hauses und blieb dort im Schatten stehen. Die Wärme im Mauerwerk strahlte auf seinen Rücken, und er kam sich vor wie ein Idiot, weil er hier herumschlich wie ein Sondereinsatzkommando. Er zog die Jacke aus und hängte sie über den Griff einer verrosteten Rasenwalze. Dann wischte er sich mit dem Hemdsärmel über die Stirn und begann zu zählen. Bei zehn würde er zur Haustür gehen und offiziell läuten und um eine dienstliche Unterredung bitten. Dann würde er über all das lachen und nicht mehr gegen Windmühlen kämpfen.
    Und genau das hätte er auch getan, wenn nicht bei fünf jemand im Haus, gleich auf der anderen Seite der Mauer, angefangen hätte zu schreien. 

     
         49
     
    18. Mai
    Er arbeitete lange genug in diesem Beruf, um zu wissen, wann er sich an seine Ausbildung halten sollte und wann nicht. Er wusste, dies war ein Augenblick, in dem er sich genau an das halten sollte, was er gelernt hatte. Er sollte die Einsatzzentrale rufen. Aber das rote Licht am Radio blinkte und zeigte an, dass es ebenfalls keinen Netzkontakt hatte. Er würde nicht zurückfahren, bis er wieder im Funkbereich wäre. Also tat er das genaue Gegenteil von dem, was er hätte tun sollen: Er ging weiter.
    Einen oder zwei Schritte weit vor ihm lehnte ein Holzstiel an einem der Glasstapel. Er stammte offenbar von einer Axt oder einer Schaufel, und Gewicht

Weitere Kostenlose Bücher