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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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sagte er und zog den Mann hoch. Er öffnete die  

    Wagentür und schob ihn darauf zu. »Warte da. Rühr dich nicht. Wenn einer von deinen anderen Jungs vorbeikommt, schickst du ihn weiter, und wenn du den ganzen Tag da sitzen musst mit deinem jämmerlichen kleinen Ständer. Wenn er kommt, tust du, als wäre nichts passiert. Lass ihn einsteigen - ich übernehme den Rest.«
    »Was ist mit meinem Schlüssel? Was soll ich ohne meinen Autoschlüssel machen?«
    »Herr im Himmel. Ich sage, du sollst mir helfen, weil du ein Stück Scheiße bist und der Gesellschaft etwas schuldest. Nicht weil ich plötzlich der gottverdammte Erzengel Gabriel bin. Jetzt. Steig. In. Dein. Verdammtes. Auto.«
    Caffery schwitzte, als er zurückkam. »Jetzt müssen wir warten.« Er nahm den Tabak und fing an, sich eine Zigarette zu drehen. »Der, auf den wir warten, wird in ungefähr zehn Minuten zu dem Auto da drüben kommen.« Er leckte das Papier an und zündete die Zigarette an.
    Flea beobachtete, wie er rauchte. Sie spürte, wie die letzten beiden Tage an ihr zehrten, und hatte das überwältigende Bedürfnis, zu weinen oder zu schlafen. Caffery neben ihr rauchte die Zigarette und behielt stumm den blauen Nissan im Auge. Er drückte den Stummel im Aschenbecher aus, rollte das Tabakpäckchen zusammen und legte es auf die Ablage. »Als ich acht war, verschwand mein Bruder«, sagte er mit gleichmütiger Stimme.
    »Wie bitte?«, fragte sie verdutzt.
    »Mein Bruder verschwand«, wiederholte er so ruhig, als erzählte er ihr, was er zum Frühstück gegessen hatte. »Ich war bei ihm, als es passierte. Wir hatten... wir hatten uns gestritten, und er ging weg, lief unten aus unserem Garten auf ein Bahngleis. Das war nicht gefährlich; wir waren da schon eine Million Mal gewesen. Aber diesmal...« Einen Augenblick war es, als hätte er vergessen weiterzusprechen. »Aber diesmal kam er 
    nicht wieder. Auf der anderen Seite der Gleise wohnte ein über- führter Pädophiler. Wir nannten sie damals nicht so, wir sagten Kinderschänder oder Böse Onkel. Alle wussten, dass er es war, aber niemand konnte etwas beweisen. Das ist dreißig Jahre her, und ich weiß immer noch nicht, wo mein Bruder ist.«
    Sie starrte ihn mit klopfendem Herzen an. Er hatte es gehört. Er wusste, was mit Mum und Dad passiert war, jemand bei der Polizei musste ihm erzählt haben, wie der Unfall ihr Leben verändert hatte und dass sie ihr Leben niemals zurückbekommen würde. Sie holte tief Luft. »Warum erzählen Sie mir das?«, fragte sie mit dünner Stimme. »Warum?«
    »Weil Sie wissen wollen, warum ich diesen Typen da beinahe umgebracht hätte. Wissen Sie, ich schleppe wegen der Sache mit meinem Bruder eine verdammte Riesenschuld mit mir herum, denn wenn so etwas passiert - dem falschen Sohn, wie meine Eltern es sahen -, wenn das passiert, kommt man niemals über die Schuld hinweg. Und das macht sich manchmal auf eine Weise bemerkbar, auf die ich erstens nicht stolz bin und die mich zweitens mehr als nur den Job kosten könnte.« Er deutete mit dem Kopf auf den blauen Nissan. Der Fahrer hatte den Rückspiegel verdreht und begutachtete den Schaden an seinem Gesicht. »Er ist ein Freier.« Er lächelte schmerzlich. »Mein Kinderfickerradar, wenn Sie es so nennen wollen, ist schärfer eingestellt als bei den meisten Leuten.«
    Sie wusste nichts darauf zu antworten. Sie starrte ihn eine Weile an, und als sie es nicht mehr ertrug, wandte sie sich ab und schaute aus dem Seitenfenster. Ihr Mund stand offen, denn sie atmete schnell.
    »Es ist okay«, sagte er. »Ich bitte Sie nicht um Nachsicht. Sie können mich ruhig anzeigen. Es ist mir inzwischen ziemlich egal.«
    Flea hörte das Knarren des Ledersitzes neben sich, als er sich bewegte; sein Schlüssel klirrte, und sie fühlte seine Hand auf ihrer Schulter.  

    »Es tut mir leid«, sagte er leise. »Ich wollte Sie nicht in eine solche Lage bringen. Das hatte ich wirklich nicht vor.«
    Sie konnte sich nicht bewegen, konnte nur an seine Hand auf ihrer Schulter denken. Und als sie schon glaubte, sie würden hier für immer sitzen, hier in diesem Auto auf der staubigen Stadtstraße, und einander atmen hören, löste sich etwas in ihr, und die Worte sprudelten aus ihr heraus.
    »Wenn Sie sich den Arm abschneiden, würde es nicht genügen. So fühlt es sich an, nicht wahr? Die einzige Wiedergutmachung bestünde darin, dass Sie selbst sterben - schrecklicher und unter noch größeren Schmerzen und Angst. Das ist der einzige Weg.« Sie

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