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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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und fuhr weiter.
    Die Seitengassen waren eng, gerade breit genug für ein Auto, aber sie brauchte weniger als eine Minute, um den Ford durch das Labyrinth zu manövrieren. Mit einer Vollbremsung hielt sie auf einer breiten Straße, die zu beiden Seiten von Gras und drahtumwickelten Baumsetzlingen gesäumt war. Dies war die Einfahrt zur Siedlung Hopewell, und nach ihrer Einschätzung führte die Straße rechts von ihr hinunter zu der Gasse. Sie öffnete das Fenster und beugte sich mit klopfendem Herzen nach vorn.  

    Zuerst glaubte sie, sie habe sie verpasst. Aber dann hörte sie Schritte. Der kleine Mann in der Jacke kam aus der Straße, rannte an ihr vorbei - sie sah dünne Gliedmaßen und ein angespanntes Gesicht - auf das struppigen Gras zu und dann quer über den Platz; die Schatten der Hochhäuser huschten über seinen Kopf. Caffery war nicht zu sehen, doch als sie den Sicherheitsgurt öffnete, aussteigen und loslaufen wollte, tauchte er auf. Er rannte nicht, sondern ging, legte einen Finger an den Mund, als er sie sah, und winkte sie zurück zu ihrem Wagen. Sie hockte sich wieder auf den Fahrersitz, ließ die Füße draußen auf dem Asphalt, zog aber die Tür heran, als er vorbeiging.
    Sie schaute ihm nach; ihre Gedanken kreisten, und ihr Blick huschte umher. Die Straßen im Osten, wo sich der Supermarkt befand, kannte sie nicht, aber diese Wohnanlage kam ihr bekannt vor. Die Häuser ordneten sich um sechs hohe, durch Betonsteinwege miteinander verbundene Wohntürme, umgeben von dreieckigen Rasenflächen. Sie sah die Anlage von oben vor sich - wie das Modell eines Stadtplaners. Und so, wie der kleine Kerl rannte, wollte er vermutlich zum North West Tower, dem berüchtigten Drogenhochhaus. Sie wartete einen Augenblick, während ihr das Herz bis zum Hals schlug. Als Caffery im Windschatten des South West Towers verschwunden war, zog sie die Beine in den Wagen, ließ den Motor an und fuhr um die kleinen Parkplätze und Müllkippen herum.
    Sie ging ein Risiko ein - sie konnten in jede beliebige Richtung gelaufen sein -, und als sie am Fuß des North West Towers herauskam, dachte sie schon, ihre Rechnung sei nicht aufgegangen, denn kein Mensch war zu sehen. Der leere Eingang war übersät von Plakaten und Graffiti, und aus einer Reihe Recyclingtonnen quollen dreckige Mülltüten. Keine Menschenseele weit und breit.
    Aber dann tauchte er wie ein Lichtblitz auf ihrer Netzhaut auf. Wieso sah sie ihn erst jetzt? Caffery stand ungefähr zehn Schritte vor ihr und schaute sie an.  

    Sie stieß die Wagentür auf und sprang hinaus. »Mein Gott! Was ist...«
    Er hob warnend die Hand und schnitt ihr das Wort ab. Aber mit dem anderen Arm deutete er in die entgegengesetzte Richtung. Und als sie begriff, wohin er zeigte, war es, als wehte etwas Dunkles, Abscheuliches durch sie hindurch, denn jetzt wusste sie, wo sie den Kerl in der Jacke schon gesehen hatte. Hier war es gewesen, genau da, wo Caffery jetzt stand. Nur einen Augenblick lang, aber sie erinnerte sich deutlich, denn es lag erst zwei Tage zurück, dass er an ihr vorbeigegangen war. Sie schaute wieder auf die Tür, auf die Caffery wies.
    Und plötzlich war nichts, nichts mehr so, wie es sein sollte.
    54
    18. Mai
    Die Tür war blau, hellblau. Die Nummer elf darauf bestand aus verspiegelten Klebelettern, und der Typ in der Jacke war dahinter verschwunden. Caffery stand da und starrte die Tür an, atemlos vom Laufen. Eine ganz gewöhnliche Tür - die traurig aussehende Gardine im Fenster hatte die Farbe von gebrauchten Teebeuteln, jahrelang verdreckt und nicht gewaschen und seine Intuition sagte ihm, dass Mossy dahinter verstümmelt worden war. Der Himmel allein wusste, wie es hinter dieser Tür aussah.
    Er ging einmal unten um das Hochhaus herum und vergewisserte sich, dass es keinen Hinterausgang gab. Es hatte einen viereckigen Grundriss; der Liftschacht befand sich an der einen Seite, und auf der anderen Seite waren weitere Eingänge, aber keine Hintertüren. Er betrachtete die Türen, die mit Platten ver- 
    nagelten Fenster, und wartete, bis er wieder zu Atem kam. Und plötzlich wusste er, wo er war - nämlich wieder in Hopewell. Er war nur von der anderen Seite gekommen. Das Hochhaus, in dem Jonah wohnte, war das hintere. Er konnte sie nicht sehen, aber in diesem Augenblick würden dort ungefähr zwanzig Polizisten im Treppenhaus unterwegs sein. Bei diesem Haus hier waren die meisten Fenster im Erdgeschoss mit Brettern vernagelt. Er musterte diese Fenster

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