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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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drehte sich mit glühenden Wangen zu ihm um. »Sie wünschen sich immer und immer wieder, Sie wären es gewesen. Lieber würden Sie eine Million Mal ihren Tod sterben, statt noch eine Sekunde länger diese Schuld zu tragen.«
    Caffery zog die Hand weg, und sein Gesicht sah plötzlich grau aus, als hätten all die langen Nächte und die Sorgen ihn mit einem Schlag eingeholt.
    »Meine Eltern«, sagte sie. »Ein paar Kollegen wissen davon, aber sie würden niemals darüber sprechen. Vor zwei Jahren - und ich habe ihre Leichen immer noch nicht. Anders als bei Ihnen weiß ich, wo sie sind, ich weiß es genau. Jeder weiß es. Aber niemand kann sie zurückholen.«
    Sie verstummte ebenso plötzlich, wie sie angefangen hatte, erschrocken darüber, dass sie so viel geredet hatte. Sein Blick war fest auf sie gerichtet. Lange schwieg er. Dann hob er ein wenig die Hand, und einen Sekundenbruchteil dachte sie, er werde sie schlagen. Aber das tat er nicht, ließ lediglich die Hand auf das Lenkrad sinken und schaute müde aus dem Fenster. Sie suchte nach Worten, aber als sie etwas sagen wollte, war es zu spät. Eine schmächtige Gestalt in einer seltsam übergroßen braunen Jacke und hochgekrempelten Jeans schlenderte am Wagen vorbei und auf den Supermarkt zu.
    Und dann ging es los.  

    53
     
    Caffery drehte sich auf dem Sitz um und starrte den Typen an. »Fuck«, murmelte er, »ich glaube, das ist er.«
    »Wer?«
    »Der Kerl auf dem Foto.«
    Die Gestalt ging auf den blauen Nissan zu. Sie blieb an der Mülltonne stehen, senkte kurz den Kopf, ging dann weiter bis zum Nissan und klopfte mit einer schmalen Hand ans Fenster. Flea kam ein Gedanke: Ich kenne ihn. Woher kenne ich ihn? Aber dann war Caffery aus dem Wagen gesprungen und schob seine Ärmel hoch, und plötzlich ging alles so schnell, dass sie nicht weiter darüber nachdachte.
    Aus dem Nissan drang ein urzeitliches Gebrüll: »Polizei]« Es war der Fahrer, der da schrie, und er wedelte mit der Hand aus dem Fenster. » Verschwinde! Polizei /« Zweierlei passierte gleichzeitig: Die kleine Gestalt in der übergroßen Jacke rannte ungelenk in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war, und Caffery schlug auf das Dach des Nissan - eine Absichtserklärung - und sprintete der Gestalt nach.
    Flea war für so etwas ausgebildet, aber plötzlich fühlte sich ihr Kopf leer an. Caffery verschwand um die Ecke, und sie kannte diese Gegend nicht. Sie wühlte ihr Telefon heraus und ließ es fallen. Als sie es aufhob, sah sie, dass es zerbrochen war: SIM-Karte und Akku hingen lose herab. Sie rutschte auf den Fahrersitz hinüber, tastete unter das Lenkrad und stellte fest, dass der Schlüssel nicht da war. Sie schob sich zurück, hielt Handy und Akku in der einen Hand und suchte mit der anderen nach ihrem eigenen Autoschlüssel.
    Sie schwang sich aus dem Wagen, rannte nach hinten zu ihrem Focus und sprang hinein. Der Wagen machte einen Satz nach vorn und wäre fast mit einem Lieferwagen kollidiert. Sie bremste, umklammerte das Lenkrad und fluchte, während der  

    Lieferwagen gemütlich vorbeifuhr. Dann überquerte sie die Straße mit Vollgas und bog nach links ab.
    Es war eine dieser viktorianischen Reihenhausstraßen, die sich vor ihr erstreckte, bei denen sie immer an den Norden denken musste: lauter unauffällige Klinkerfassaden. Sie hielt an und schaute sich um; sie wusste nicht, was sie tun sollte. Caffery und der Kleine konnten überall sein. Dann entdeckte sie sie, ungefähr hundert Meter weiter hinten; sie kamen zwischen den geparkten Autos hervor, zuerst die Gestalt in der lächerlichen Jacke, dann Caffery. Sein weißes Hemd leuchtete wie eine Signalflagge. Sie fuhr wieder los und erreichte die beiden, als sie seitwärts in den Durchgang zwischen zwei Häusern schlitterten.
    Sie riss ihr »Bristol von A-Z« heraus, blätterte hastig den Index auf und fuhr mit dem Zeigefinger an der Liste herunter, bis sie »Hopewell« gefunden hatte. Hinter ihr hupte ein Auto und wollte vorbei, aber sie achtete nicht darauf. Sie klemmte sich das Buch zwischen die Knie, blätterte die Seite auf und legte es flach auf den Schoß. Jetzt sah sie, wo sie waren: Die Gasse zwischen den Häusern endete in der Siedlung Hopewell. Der Fahrer hinter ihr kurbelte sein Fenster herunter und verbreitete sich lauthals über die Frage, weshalb es immer Weiber seien, die sich über die Verkehrsregeln hinwegsetzten, und was sie da eigentlich mache? Ob sie vielleicht ein Tampax einschiebe? Sie zeigte ihm den Finger

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