Ritualmord
aufmerksam; alles wirkte sehr still in der Mittagshitze. Er ging zurück zur anderen Seite. Erst jetzt fiel ihm auf, dass mit Flea etwas nicht stimmte.
»Nummer elf«, murmelte sie. »Es ist Nummer elf.«
»Ja«, sagte er. »Und?«
Sie legte den Kopf schief, wich ein paar Schritte zurück und winkte ihn zu sich. Er folgte ihr bis zu den Autos, wo man sie von der Wohnung aus nicht mehr sehen konnte, und musste sich ein wenig herunterbeugen, um zu verstehen, was sie sagte.
»Ich weiß, wer da wohnt«, flüsterte sie. »Ich meine, das ist ein Freund von mir.«
»Na bravo. Ganz ausgezeichnet.«
»Ja, und Sie... Sie kennen ihn auch. Tommy Baines. Tig. Der Typ aus der Drogenberatung in Mangotsfield. Der mit dem Auge.«
Caffery versuchte, das alles zu sortieren. »Der mit dem...« Er brach ab. »Woher zum Teufel, kennen Sie den?«
Sie schloss kurz die Augen, als könnte sie nicht glauben, dass das alles wirklich passierte. »Ich hab - mein Gott, ich kenne ihn seit Jahren, okay? Aber ich hab ihn vor kurzem gesehen. Er hat mir erzählt, Sie hätten ihn vernommen.«
»Das ist großartig, verdammt. Es ist wirklich sehr hilfreich, wenn die Leute ihre Klappe nicht halten können und wenn...«
»Moment mal«, sagte sie, und ihr Blick verdüsterte sich. »Dass jemand in seine Wohnung läuft, bedeutet noch nicht, dass er was zu verbergen hat. Also werden Sie jetzt nicht
pampig. Ich meine, vielleicht ist es ja gar nichts. Vielleicht ist es nur...« Ein Gedanke ließ sie verstummen. Ihr Blick ging nach oben, als betrachtete sie einen Punkt am Himmel. »Oh, Scheiße«, sagte sie dann und klopfte sich mit den Knöcheln an die Stirn. »Scheiße und noch mal Scheiße.«
»Was denn?«
»Ich hab grandiosen Mist gebaut.«
»Wieso?«
Seufzend ließ sie die Hand sinken und ging über den sonnenheißen Asphalt zu ihrem Auto. Er verfolgte, wie sie die Tür aufriss, ihre Sporttasche herausnahm und darin herumwühlte. Sie richtete sich auf und schob etwas, das aussah wie ein Messer im Holster, ein Tauchermesser vielleicht, hinten in ihre Hosentasche. Dann schlug sie die Tür zu und kam mit zwei Kevlar-Panzerwesten zurück; die eine war voll ausgestattet, die Taschen der anderen waren leer. Sie blieb vor ihm stehen. »Als wir die Hand im Hafen gefunden haben...« »Ja?«
»An dem Tag hab ich eine SMS von ihm bekommen. Von Tig.« Sie hielt Caffery die ausgerüstete Weste hin. »Er wollte mich sehen. Ich hatte seit einer Ewigkeit nicht mit ihm gesprochen, und auf einmal meldet er sich. Und als ich zu ihm komme, bohrt er ein bisschen herum und will von mir wissen, was bei dem Fall so läuft.« Sie verzog das Gesicht. »So«, sagte sie. »Ich bin ein Idiot. Wahrscheinlich verliere ich jetzt meinen Job, oder?«
Caffery erinnerte sich an das ungute Gefühl, das ihn bei Tig beschlichen hatte. Am liebsten hätte er ihm eine reingehauen. Jetzt fiel ihm alles wieder ein.
»Okay«, sagte er. Er ignorierte die ausgestattete Weste und griff nach der leeren. »Wir wollen keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wie Sie sagen - dass jemand in seine Wohnung rennt, hat noch gar nichts zu bedeuten. Wir sehen uns erst mal um, okay?«
Als sie beide die kugelsicheren Westen angezogen hatten, strich Flea sich das Haar aus dem Gesicht, straffte die Schultern und klopfte laut an die Tür.
Stille. Sie erhob sich auf die Zehenspitzen und versuchte durch das kleine Fenster hineinzuspähen. »Tig?«, rief sie und schlug mit der flachen Hand an die Tür. »Tig? Bist du da? Ich bin's!«
Hinter der Tür hörte man Geflüster, und Leute bewegten sich hastig. Eine Tür wurde zugeschlagen.
»Tig? Muss dich kurz sprechen!«
Geräusche. Anschließend Stille. Schließlich öffnete sich eine Tür, und plötzlich zog eine Hand auf der anderen Seite die Gardine zurück. Ein schlurfendes Geräusch, und dann erschien ein Gesicht hinter der schmutzigen Scheibe.
»Mrs. Baines.« Flea legte eine Hand an das Fenster. »Ich bin's. Ist alles in Ordnung? Kann ich reinkommen?«
Die Frau starrte sie an wie eine Fremde.
»Ich bin's. Kann ich reinkommen?«
Riegel wurden zurückgeschoben, und dann öffnete eine gebrechliche Frau in einem verschlissenen Morgenmantel die Tür. »Ich weiß nicht, wo er ist, Schätzchen. Wahrscheinlich irgendwo bei den Schwarzen.«
Caffery spähte in die schmuddelige Diele. In der Wohnung herrschte das Chaos - überall Packen von Zeitungen, sortiert und in einzelne Plastiktüten gestopft. Auf den Tüten standen Daten, mit Filzstift geschrieben:
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