Ritualmord
und als er nach vorn kam, um mit dem Fahrer zu sprechen, war ihm aufgefal¬len, dass an einem Band am Rückspiegel ein verwester Geier¬kopf hing.
Caffery öffnete die angehängte Bilddatei. Das Foto zeigte einen grauen Kopf wie von einem übergroßen, missgebildeten Huhn. Ein rotes Band war säuberlich um den Hals geschlungen, und im Schnabel klemmte ein Los der National Lottery. Mit hohem Kostenaufwand hatte die Polizei den Geierkopf zur Bestimmung an den Zoo von Bristol geschickt, und von dort war eine Serie von Fotos und – wie er sich schon dachte – eine hämische Notiz zurückgekommen: Der »Geier« sei eine Fälschung. Die dem Bericht beigefügten Sektionsfotos zeigten, dass sich unter der abgeschälten Haut ein kleiner Schafsschädel verbarg. Die Nase war so zurechtgefeilt, dass sie einem Schnabel glich, und der ganze Schädel war mit Hühnerfleischspänen umwickelt worden. Großes Gelächter allenthalben – aber der springende Punkt war, dass der Fahrer das Ding für einen Geierkopf gehalten hatte. Er weigerte sich zu sagen, woher er kam und warum er ihn besaß; er sei schon im Wagen gewesen, als er ihn gekauft habe, behauptete er, und er sei noch nicht dazu gekommen, ihn abzunehmen. Doch der Polizist hatte am Abend zuvor im Fernsehen eine Sendung über Hexerei gesehen und vermutete, dass es sich um einen Fetisch handelte.
Caffery suchte in dem Bericht nach dem Namen des Autofahrers. Kwanele Diamini. Mit halb geschlossenen Augen las
er den Namen noch einmal, und ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Diamini. So, stellte er sich vor, konnte ein Zuluhäuptling heißen. Ein Afrikaner.
Wie es aussah – er schob den Stuhl zurück und griff nach seiner Jacke –, hatte er einen kleinen Besuch zu machen. Nur einen kleinen Besuch.
27
16. Mai
Thom wollte eine Notiz für Flea schreiben, damit sie nicht vergaß, dass er vorhatte, sich ihren Wagen zu leihen. Er musste an solche Verabredungen erinnert werden, weshalb er dachte, ihr gehe es nicht anders. Also bestand er darauf, sich an den Tisch zu setzen und es in seiner peniblen Handschrift auf einem Post-it zu notieren. Flea stand mit verschränkten Armen vor der Spüle; sie betrachtete ihn, seine Augen, die dunklen Wimpern und die leicht bläuliche Haut ringsherum, und sah, wie er sich zum Schreiben krampfhaft über das Papier beugte. Seine Farbe war zurückgekehrt, aber irgendwie wusste sie, ganz würde sie nie mehr zurückkommen. Wenn jemand sie gefragt hätte, wann sie ihren Bruder zum letzten Mal gesehen habe, hätte sie wahrheitsgemäß antworten müssen: am Tag des Unfalls vor zwei Jahren.
Nicht dass sie ihn seitdem nicht gesehen hätte – tatsächlich war sie die ganze Zeit im Krankenhaus in Danielskuil, als sie ihr gesagt hatten, er werde vielleicht sterben, nicht von sei¬ner Seite gewichen, und auch nicht während des grauenvollen Heimflugs über Kapstadt mit der Stewardess, die ihr kein Paracetamol für ihn geben wollte, weil die Airline befürchtete, ver-
klagt zu werden; und auch nicht während der achtwöchigen Ermittlungen zum Tod ihrer Eltern. Sie hatte den physischen Thom gesehen, seinen Körper, die Hülle, in der er lebte, aber ihr Bruder war verschwunden. Wenn man ihm in die Augen blickte, sah man nichts. Deshalb würde sie sagen, das letzte Mal habe sie ihn an jenem Tag im Boesmansgat gesehen, als er weinend, kotzend und um sich schlagend in dem Wasserloch aufgetaucht war.
Unter ihm gähnte dieses dunkle Loch, hundertfünfzig Meter breit, dreihundert Meter tief. Wie ein Verlies für ein schlafendes Raubtier. Und es war ein Grab. Bushman’s Hole hatte in den letzten zehn Jahren drei Tauchern das Leben gekostet, und jetzt wieder zwei: David und Jill Marley. Dad war als Erster getaucht, geradewegs hinunter in die Dunkelheit. Mum war ihm gefolgt. Thom hatte verzweifelt nach ihnen gegriffen und für ein paar Augenblicke sogar Mums rechten Knöchel zu fassen gekriegt, aber sie war ihm entglitten. Es schien, als hätten sie sich kopfüber in die Finsternis gestürzt, entschlossen, bis auf den Grund zu kommen. Was undenkbar war, denn der Grund lag hundertfünfzig Meter tiefer, als sie hatten tauchen wollen. Sie wussten beide, dass es Selbstmord gewesen wäre, auch nur zehn Meter tiefer zu gehen, als der Tauchplan vorsah.
Sie hatten es wissenschaftlich geplant, denn wenn David und Jill Markey vor etwas Respekt hatten, dann vor dem Wasser. Bushman’s Hole war der Gipfel für sie, der Höhepunkt einer lebenslangen
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