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Ritualmord

Titel: Ritualmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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was dreihundert Meter unter ihm geschah.
    Soweit man wusste - und tatsächlich wusste niemand es genau -, gab es am Grund des Sinklochs keinen Auslass, der groß genug war für einen Menschen. Also mussten Mum und Dad reglos auf den Grund gesunken sein. Mit Hilfe von Thoms Aussage hatten die Ermittler den Bereich, in dem sie liegen mussten, ungefähr eingrenzen können. Daraufhin hatten sie ein ferngesteuertes kleines U-Boot mit einer Kamera hinuntergeschickt, um die Flanke und die tiefsten Winkel von Bushman's Hole abzusuchen. Aber die Kamera fand nichts, und es hatte keinen Sinn, darauf zu warten, dass die Leichen an die Oberfläche kamen. Die meisten Wasserleichen trieben nach oben, wenn die Verwesung einsetzte, aber bei den Marleys war das nicht der Fall; die Fäulnisgase standen unter so hohem Druck, dass sie nicht aufsteigen konnten; außerdem würde das Gewicht der Taucherausrüstung sie am Boden halten, bis sie zerfallen und nur noch Knochenreste übrig waren. Die Möglichkeiten der Ermittler stießen an ihre Grenzen. Man konnte nichts mehr tun, um sie zu bergen.
    Auch anderswo auf der Welt gab es Tote, die in der Stille schwebten, hin und her bewegt von Strömungen und Fischen, Taucher, die an so tückischen Orten gestorben waren, dass es andere Taucher das Leben kostete, wenn sie versuchten, sie zu bergen. Die südafrikanische Polizei, ihr psychologischer Betreuer, Kaiser - alle hatten ihr geraten zu akzeptieren, dass Mum und Dads letzte Ruhestätte auf dem Grund von Bushman's Hole liege. Und sie hatte halbwegs ihren Frieden damit geschlossen, aber nie aufgehört, daran zu denken.
    Manchmal erschienen Bilder von ihnen vor Fleas geistigem Auge: fleischlose, augenlose Gerippe, die sich um ihre Längsachse drehten. Sie schob sie hin und her, versuchte sie zu platzieren, sich vorzustellen, wie sie wohl lagen. Thom erzählte, Dad sei als Erster gegangen, aber das brauchte sie nicht von 
    ihm zu hören. Irgendwie hing es mit seinen Meditationen im Arbeitszimmer zusammen, irgendwie auch mit den vielen Stunden, die er mit Kaiser verbracht hatte - jedenfalls wusste sie instinktiv, dass es so gewesen sein musste: Dad war als Erster gegangen. Und so hatte sich in ihrem Kopf dieses Bild verfestigt: Dad lag mit dem Gesicht nach unten, die Arme bis an die Schultern im Sand, als wollte er den Boden der Unterwasserhöhle umarmen, während Mum auf dem Rücken lag, die Arme zur Oberfläche hinaufgestreckt, als hoffte sie immer noch, jemand werde ihren Fehler bemerken und sie in die Welt zurückholen.
    Doch als sie jetzt vor der Spüle stand und die hereinscheinende Mittagssonne den Staub und die Details der Küche hervortreten ließ, dachte Flea mehr an die Art und Weise, wie sie gesunken waren. Konnte es sein, dass sie in die andere Richtung abgestiegen waren, weg von der Ecke des abgesuchten Lochs: War es das, was Mum ihr hatte sagen wollen?
    Thom saß am Tisch und schrieb konzentriert und sorgfältig. Sie stellte sich vor, wie sie zu ihm sagte: Könnte es sein, dass etwas bei deinen Erinnerungen an den Unfall nicht stimmt? Vielleicht sollten wir uns hinsetzen und das alles noch einmal durchgehen?
    Aber nein. Es hatte keinen Sinn, ihn aus einem so dürftigen Grund aus der Fassung zu bringen. Wegen einer Halluzination. Sie drehte den Hahn auf und ließ Wasser ins Spülbecken laufen. Seifenschaum kreiste funkelnd in der Sonne. Wieder betrachtete sie die bläulich grauen Adern, die sich an der Innenseite ihrer Arme entlangschlängelten. Das Ibogain würde ihren Schädel öffnen und Licht hineinfluten lassen - und vielleicht würde sie noch an diesem Abend erfahren, was ihr entgangen war. Mit Thom würde sie nicht darüber reden, aber eines war sicher: Sie würde Mum fragen, auf welcher Seite des Sinklochs sie gelandet waren.  

     
    28
     
    16. Mai
    Kwanele Diaminis letzte bekannte Adresse war in Nailsea: ein einzelnes georgianisches Backsteinhaus mit fünf Zimmern in einer geschlossenen Wohnanlage aus den 1990er Jahren. Die Häuser mit den sandsteinartigen Fassaden wirkten nahezu identisch; jedes verfügte über ein Stück Rasen, eine Garage und einen Briefkasten im amerikanischen Stil vor der Haustür. Diaminis Haus stand am Ende der Straße, und man sah den Flughafentower in Backwell Hill. Auf Cafferys Läuten hin öffnete nicht Diamini, sondern eine blonde Frau in einer tiefsitzenden Jeans mit Gürtel und einem pinkfarbenen T-Shirt, auf dem in glitzernden Buchstaben das Wort »Pornstar« stand.
    »Längst weg«,

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