Ritus
Florence zu transportieren! »Was wollt Ihr von dem armen, verfluchten Kind? Bringt Ihr sie nach Rom? Was hat der Heilige Vater damit zu schaffen?«
Francesco lächelte mitleidig, doch die hellgrünen Augen überschütteten sie mit Hohn. »Ehrwürdige Äbtissin, Ihr werdet von mir nichts erfahren, auch wenn Euch der Tod gewiss ist.« Er hob die Arme. »Dennoch wird Eure Seele Frieden finden. Ich erteile Euch die Absolution postum, und Ihr brennt zusammen mit Euren Nonnen in einem heiligen Feuer. Die Stätte, an der das Übel hauste, darf nicht länger bestehen bleiben, so lautet meine Order. Der Ritus der Bestie hat ein Ende. Aber die Leute in der Umgebung werden Euch und das Kloster beweinen und immer in guter Erinnerung behalten. Wo Ihr so viel Gutes getan habt. So haben alle etwas davon.« Er lachte. »Vielleicht werdet Ihr sogar selig gesprochen, ehrwürdige Äbtissin. Und das trotz Eurer fleischlichen Sünde.«
»Zum Teufel mit Euch!«
»Nein, sicherlich nicht. Aber Ihr könnt Eurer Seele noch Erleichterung verschaffen. Seid mir behilflich, das Rätsel der im Morast versunkenen Kutsche zu lösen. Man sagte mir, dass sie zuvor vor dem Kloster gesehen worden sei. Eine edel gekleidete Frau habe sich mit Euch unterhalten. Ging es um Euer Mündel?«
Gregoria schwieg.
»Demnach lautet die Antwort Ja. War es vielleicht sogar die Mutter? Hat sie Euch gesagt, wer der Vater der Bestie ist?«
»Gott wird Euch richten, Jesuit!«
»Ich denke, er wird mit mir zufrieden sein. Was man von Euch nicht behaupten kann.« Sein Finger deutete auf das Dormitorium. »Schlitzt sie auf und legt sie zu den anderen.«
Gregoria langte ansatzlos nach dem hölzernen Kruzifix neben sich an der Wand und schlug nach dem Legatus. Sie traf ihn mit dem Heiland am Kopf, die Figur zersprang, augenblicklich floss Blut aus der Platzwunde. Francesco taumelte und klammerte sich an ihren Bewacher.
»Herr, vergib mir.«
Sie nutzte die Verwirrung und rannte aus dem Dormitorium. Unterwegs streifte sie sich den Schleier und die weiße Haube ab, um im Dunkeln nicht so leicht erkannt zu werden. Draußen verbarg sie sich im Schatten der Säulen des Kreuzgangs.
Gregorius und Maria, was soll ich tun?, betete sie und kämpfte gegen ihre Verzweiflung an. Wie konnte ein Mann des Glaubens, der Stellvertreter Gottes auf Erden, solche Untaten befehlen? Oder handelten die Jesuiten ohne den Auftrag des Heiligen Vaters? Das Wort Verschwörung spukte durch ihren Kopf.
Sie schloss die Augen, als drei Bewaffnete an ihrem Versteck vorbeiliefen, sie wurde aber nicht entdeckt.
Nur so kann es sein. Es ist eine Verschwörung! Der Heilige Vater weiß nichts davon, was sein Legatus treibt. Was hier geschieht, kann nicht in deinem Sinn sein, Herr im Himmel.
Sie wartete, bis sie keine Schritte mehr vernahm, dann huschte sie weiter, um zur Pforte zu gelangen.
Ihr war ein Einfall gekommen. Allein konnte sie keinen Erfolg gegen die Vielzahl von schwer bewaffneten Männern haben, aber wenn sie bis nach Auvers gelangte, die Einwohner oder die Soldaten zu Hilfe rief, mussten Francesco und seine Leute das Nachsehen haben.
Der Hof, der sich vor ihr ausbreitete, war ihr noch niemals in ihrem Leben so riesig vorgekommen. Das Stück Weg bis zu m Ausgang aus dem Kloster lag in schier unendlicher Entfernung; zudem befanden sich vier Männer bei der gepanzerten Kutsche, spannten die Pferde ein und bereiteten die Abfahrt vor.
Gregoria bemerkte den beißenden Geruch, der in der Luft hing, und als sie genauer durch die offene Tür ins Innere des Vehikels schaute, entdeckte sie darin noch zwei kleine Fässer mit der Aufschrift Petroleum. Ein fünfter Mann kam aus der Spinnerei, nahm sich das vorletzte Fass und ging damit in das Haus der Äbtissin. Man stellte sicher, dass die Feuersbrunst vor keinem Gebäude Halt machte.
Plötzlich hallten Schüsse durch die Nacht. In das Krachen der Musketen mengten sich das aufgeregte Rufen und Todesgeschrei von Männern – Gregoria hörte die Unterschiede ganz genau –, dann heulte die Bestie im Triumph, bellte und fauchte, ehe neuerliches Krachen ertönte.
Die vier Männer bei der Kutsche nahmen ihre Waffen hoch, blieben aber, wo sie waren. Der fünfte Mann kam aus dem Haus gelaufen und beruhigte die Pferde, die auf die Hinterläufe stiegen und lospreschen wollten, um dem Ort zu entfliehen, an dem es nach Raubtier stank.
Das Rufen und Schießen hörte nicht auf, zwischendurch schrie einer von Francescos Leuten um Hilfe, während das wütende
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