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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Stelle, wo er die Bestie das letzte Mal gesehen hatte. Danach ließ er sich von seinen Instinkten leiten und stapfte durch den Schnee einfach vorwärts. Es fiel ihm sehr schwer, nicht unentwegt an Lena zu denken. Wie es ihr ging, wer sie entführt hatte, was sie ihr gerade antaten …
    Er setzte die Brille ab, blähte die Nase immer wieder weit auf, um möglichst viele Gerüche wahrzunehmen, und lauschte nach katzenhaftem Maunzen oder hellem Bellen. Er hoffte, dass etliche Stunden seit der letzten Fütterung vergangen waren und die kleinen Bestien ordentlichen Hunger hatten.
    Von Zeit zu Zeit benutzte er den Infrarotlicht-Modus seines Fernglases, entdeckte jedoch lediglich ein Rudel Rehe, eine Rotte Wildschweine und zwei Luchse.
    Er erreichte eine Stelle im Wald, die ohne Leben war. Es gab keine Wildspuren, keine Geräusche, wenn er von dem Knarren der Bäume absah. Erics Instinkte übernahmen die Kontrolle, Gefühle und Gedanken an andere verschwanden. Er zog seinen Dolch und pirschte weiter.
    Dann entdeckte er sie, neben einem Baum nackt auf dem Bauch liegend. Der Frost hatte sie perfekt konserviert. Für unbedarfte Menschen war hier eine ganz normale Frau bestialisch abgeschlachtet worden. Eric aber entdeckte zwar Spuren von Füchsen und Krähen rund um die Leiche, doch die Aasfresser hatten diese leichte Beute nach einer kurzen Inspektion verschmäht.
    Er ging näher heran. »Hab ich dich«, murmelte Eric und drehte die Tote langsam auf den Rücken. Er schätzte sie auf Mitte dreißig. Sie hatte einmal hübsch ausgesehen, die Figur war äußerst trainiert und glich der einer Hochleistungssportlerin.
    Sein Dolch hatte ihr den Tod gebracht, ihr Fleisch war in der Höhe der linken Hüfte schwarz verfärbt. Dort, wo die Waffe sie getroffen und ein Teil im Knochen stecken geblieben war, klaffte ein zwei Finger breites, verbranntes Loch. Auch die Schnitte am Oberkörper und in ihrer Kehle hatten sich nicht mehr richtig geschlossen, die Werwölfin war zu geschwächt gewesen.
    Eric betrachtete das von Schmerzen verzerrte Gesicht lange. Endlich hatte die verhasste Bestie ein menschliches Antlitz, die Suche ein Ende. Er dachte an seinen Vater und wie sehr er sich nach diesem Moment gesehnt hatte. Ihm war es vergönnt, eines der letzten Exemplare zu vernichten. Die gefährlichste Spezies der Wandelwesen stand kurz vor ihrer Auslöschung. Die Ahnen der Familie von Kastell konnten stolz auf ihn sein.
    Eric begutachtete die Frau erneut. Das Gefühl des Triumphs schwand und machte einem anderen Platz. Eric hasste sie dafür, dass sie Lena infiziert hatte, und spürte den Wunsch, den Leichnam in Stücke zu schneiden, ihn so zu schänden und über den Tod hinaus für die Taten der Lebenden zu bestrafen.
    Die dunklen Linien auf ihrer Bauchdecke ließen ihn genauer hinschauen. Mit der Klinge rieb er das gefrorene Blut weg und erkannte Schwangerschaftsstreifen in der Haut, die üppigen Brüste sprachen für viel Milch.
    Er glaubte inzwischen, hinter den Plan der Bestie gekommen zu sein. Sie hatte Nadolny zum Werwolf gemacht, um sich von ihm decken zu lassen, und schickte ihn weg, damit er an einem anderen Ort Unruhe stiftete. Beinahe wäre ihr Vorhaben gelungen.
    Nachdem die Mutter tot war, galt es nun, den Bau zu finden, ehe es einem seiner Gegner gelang. Die Welpen waren noch sehr jung, sie konnten weder ihm noch den anderen gefährlich werden.
    Eric stand auf. Er musste sich beeilen, bevor der Hunger die Welpen aus der Höhle trieb und sie sich in der Umgebung verteilten. Er wollte sich nicht darauf verlassen, dass der harte Winter sie umbrachte. Diese besonderen Tiere waren widerstandsfähig. Womöglich schlossen sie sich einem Wolfsrudel an und wurden auf diese Weise groß gezogen.
    Die Nacht lag samtschwarz auf dem Horizont und zwischen den Bäumen. Eric eilte durch den Wald, als ihm der Geruch von Menschen in die Nase stieg, der ihm merkwürdig bekannt erschien. Er benötigte nicht länger als zwei Sekunden, um die zu dem Duft gespeicherte Erinnerung aus dem Gedächtnis abzurufen: Amulett, Sankt Petersburg. Das hieß, dass er sich auf dem richtigen Weg befand!
    Nachdem ihm seine Nase einen ausgezeichneten Dienst erwiesen hatte, nahm er Brille und Fernglas zur Hand und entdeckte an einem der kleinen Bassins gleich fünf tiefrote menschliche Silhouetten, die sich um einen Schneehügel scharten und sich daran zu schaffen machten.
    Sie hatten die Brut vor ihm entdeckt.
    Dass er lediglich einen Silberdolch bei sich trug, störte

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