Ritus
Treppe befand.
Eric hörte ein erschrockenes, qualvolles Jaulen. Er bückte sich nach der Taschenlampe und leuchtete. Der Strahl fiel auf ein rotes Rinnsal, das die Stufen herablief und zischte, weil es mit dem Silber in Berührung gekommen war. »Dreckviech«, rief er und bewegte sich zur Wand neben dem Aufgang, an welcher der Umkehrhebel für die Falle angebracht war.
Eric deaktivierte den Mechanismus, und gleich darauf rollte der Kadaver eines nackten, sehr jungen Mannes herab und blieb mit dem Kopf nach unten auf der Treppe liegen. Die Stäbe hatten ihn an sieben Stellen gleichzeitig erwischt und den Werwolf im Menschen ausgebrannt.
Von oben erklangen hastige Schritte und das Klirren von Schutt: Jemand rannte davon.
Erics spürte, wie ihm heiß wurde, als er die Verfolgung aufnahm. Die Jagd konnte beginnen!
Als er das Haus verließ, sah er eine Frau durch den verschneiten Garten hetzen; sie schaute sich nach ihm um und streifte ihre Jacke ab, zog sich im Laufen so gut es ging noch weiter aus. Für einen Schuss war sie bereits zu weit entfernt.
»Du willst dich verwandeln, was?« Er rannte zum Cayenne, stieg ein und kurvte am gefrorenen Blumenbeet vorbei die kleine Treppe hinab auf die Wiese. Schnee wurde von den Rädern nach oben geschaufelt und flog an den Seitenfenstern vorbei. Der Geländewagen liebte es, gefordert zu werden, und holte die Flüchtende schnell ein. Eric sah in ihr Informationen auf zwei Beinen.
Die Frau, die sich nun ihrer Oberbekleidung vollständig entledigt hatte, verstand, dass sie dem 450-PS-Porsche auf der lang gezogenen Wiese nicht entkommen konnte, also schlug sie einen Haken und hielt auf ein kleines Wäldchen zu, das Eric zu Kinderzeiten schon gehasst hatte. Es war ein dunkler Tannenhain, finster wie die Nacht und unheimlich. Angeblich waren im 19. Jahrhundert dort sieben Menschen verschwunden, die zu Besuch in die Villa gekommen waren. Er hatte sich selbst einmal darin verlaufen und wäre beinahe vor Angst gestorben.
Die Frau mit den langen schwarzen Haaren hielt an der Baumgrenze an, streifte die Stiefel, die Hose und die Unterhose ab und lief nackt weiter. Eric blieb gerade noch Zeit, einen Blick auf ihre üppigen, schwingenden Brüste zu werfen, dann war sie verschwunden. Er konnte sich Besseres mit ihr vorstellen, als sie zu jagen und zu töten. Aber so lief das Spiel eben nicht.
Er brachte den Cayenne zum Stehen, sprang hinaus und griff sich das verschwitzte Unterhemd der Frau. Tief sog er ihren Geruch ein und folgte ihr. So leise es ging, lief er durch den Wald. Er orientierte sich zunächst an den Geräuschen der brechenden Zweige weiter voraus und sog die kalte Luft durch die Nase ein, um das Wandelwesen aufspüren zu können.
Er fand sie nicht. Eric blieb stehen, griff sich seinen Silberdolch und nahm die Brille ab. Die Welt verschwamm sofort in einem Weichzeichner – doch dafür reagierten seine ungezähmten hellbraunen Augen nun auf die kleinste Bewegung. Und tatsächlich machte er die Frau aus: Der Silhouette nach befand sie sich im Zwischenstadium, kurz vor der vollendeten Verwandlung zum Wolf.
Eric spurtete los und verließ sich auf seine Augen, die jedes noch so vorsichtige Huschen der Gegnerin erfassten. Man konnte es mit dem Zielsucher eines modernen Waffensystems vergleichen, und er selbst war eine hartnäckige Rakete, die sich immer wieder neu justierte und erst Ruhe gab, wenn sie eingeschlagen war.
Dieser Einschlag erfolgte für das Wandelwesen unerwartet. Eric sprang die Wölfin von hinten an, rollte mit ihr durch den Schnee und saß auf ihr. Ein Handschuh krallte sich in das lange, helle Winterfell an ihrer Kehle, die Hand mit dem Dolch stieß zu und bohrte sich in das Schulterblatt, genau ins Gelenk. Nicht tödlich. Aber sehr, sehr schmerzhaft. Die Wölfin jaulte ängstlich auf, wagte nicht mehr, sich zu bewegen, sondern winselte schicksalsergeben.
Es kam ihm gelegen, keine Kämpferin vor sich zu haben. Jedenfalls wirkte sie nicht wie eine. »Verwandle dich zurück«, verlangte er und wälzte sie herum, drückte die Schnauze nach hinten und hielt ihr den Dolch an den entblößten Hals. Er sah sie noch immer undeutlich. Erst als er es knacken hörte und spürte, wie sich der Kopf unter seinen Fingern veränderte und menschlich wurde, nahm er die Hand von ihrem Gesicht und setzte die Brille auf.
Als die Verwandlung vollzogen war, hockte Eric auf dem Bauch einer höchstens Siebzehnjährigen, die ihn furchtsam anstarrte und stöhnte, weil ihr die
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