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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Nacht gelangten sie nach Malzieu, das sich verbarrikadiert hatte. Alle Türen und Fenster waren fest verschlossen, die Buden und Stände auf dem Marktplatz lagen verwaist, und wo sich die Menschen zum Tanz hatten einfinden sollen, herrschte Leere.
    »Ich wünsche Euch, dass Ihr Schlaf findet, Monsieur Chastel«, verabschiedete sich Malesky im Gasthof von ihm. »Ihr werdet derjenige sein, der sie tötet, ich bin mir sicher.« Er ging in sein Zimmer.
    Jean betrat seine eigene Unterkunft. Antoine lag schnarchend in einem der Betten, eine leere Flasche Wein in der Rechten haltend, die er während der Abwesenheit seines Vaters offensichtlich leer getrunken hatte. Pierre hockte nackt auf seiner Matratze, die Beine angezogen und mit den Armen umschlungen, das Gesicht zwischen die Knie gedrückt.
    Auf dem Boden lagen seine Kleider.
    Blutverschmiert.

XII.
KAPITEL
    Russland, Sankt Petersburg, 13. November 2004, 23:51 Uhr
     
    Lena warf ihre Kleider so in den Koffer, wie sie die Stücke zu fassen bekam. Ihr Schiff nach Tallinn ging in einer halben Stunde, und von dort startete die Maschine nach London. Bei einem Bekannten dort würde sie vorerst in Sicherheit sein.
    Den Cayenne hatte sie an der Stadtgrenze abgestellt und war den restlichen Weg mit dem Taxi gefahren. Die Polizei hatte sie in ihrem Hotel, dem Alexander, gesucht, wie man ihr an der Rezeption mitteilte, aber sie beabsichtigte nicht, sich zu melden. Sicherlich würde sie einer der Beamten als die Frau erkennen, die in einem gestohlenen Neureichenwagen vom Tatort geflohen war.
    Sie warf einen raschen Blick hinaus und sah das dichte Schneetreiben. Gut, dass sie sich entschlossen hatte, das Schiff zu benutzen. Der Flughafen blieb bei diesem Chaos garantiert geschlossen.
    Lena schaute sich ein letztes Mal um, ob sie auch nichts vergessen hatte, und schlüpfte in ihre grüne Jacke, weil sie die andere bei dem Wahnsinnigen in der Hütte vergessen hatte. Lena schauderte. Offensichtlich hatten sich eine ganze Reihe Verrückter hier in Sankt Petersburg versammelt. Mit einer Hand schleppte sie den Koffer, die andere hielt die Pfefferspraydose umschlossen, um sie sofort zum Einsatz bringen zu können. Egal, wer sich ihr schneller näherte, als es normal war, er würde eine volle Ladung abbekommen. Mit dieser Waffe fühlte sie sich ein bisschen sicherer – und erschrak umso mehr, als sie die Tür öffnete. »Herr Nadolny?«
    Lena starrte den Mann an, der vor ihr stand und einen fremden schwarzen Mantel trug; darunter schaute der Saum eines weißen Kittels heraus, die nackten Füße steckten in hellblauen Plastiksandalen. Er musste aus einem Krankenhaus geflohen sein.
    »Aber wie …«
    Sein rechter Arm schnellte nach vorne und packte sie an der Kehle. Brutal drängte er sie ins Zimmer zurück. Lena riss die Pfefferspraydose hoch, hielt sie ihm entgegen und drückte den Knopf. Es geschah …
     … nichts! Die Ladung musste verbraucht sein, da Lena es mit Eric wohl etwas zu gut gemeint hatte.
    »Diebin!« Nadolny, dieser eher schmächtige Mann um die Vierzig, verpasste ihr mit der freien Hand drei harte Ohrfeigen, die sie in seinem Griff hin und her schüttelten. Lena drohte, das Bewusstsein zu verlieren. »Gib mir meine Bilder zurück«, knurrte er. Und er knurrte wirklich. Lena hatte zu lange mit Wölfen gearbeitet, um es nicht zu bemerken.
    Er schleuderte sie rückwärts gegen die Couch. Sie fiel darüber, überschlug sich und landete auf dem gläsernen Beistelltisch. Krachend und splitternd ging er unter ihr zu Bruch, und nur die dicke Jacke verhinderte, dass sie sich schnitt.
    Nadolny machte sich inzwischen über ihren Koffer her. Er hielt sich nicht mit den Verschlüssen auf. Die Nägel seiner sonderbar klauenhaften Finger zerfetzten das Nylon, danach wühlte er sich durch die Kleidung, bis er auf die Tasche mit den Unterlagen stieß.
    Das Zimmer schien um sie herum zu kreisen. Lena stemmte sich stöhnend auf die Knie. Erst als sie den rasenden Mann auf sich zukommen sah, wurde ihr bewusst, dass es vielleicht die bessere Idee gewesen wäre, sich ohnmächtig zu stellen und zu warten, bis er wieder verschwunden war.
    Er packte sie bei den Schultern und schleuderte sie hart zurück auf den Boden. »Mit wem hast du gesprochen?«, grollte er. »Wer waren diese Männer in meiner Wohnung?«
    »Bitte, Herr Nadolny …« Obwohl sein Gesicht genau vor ihr schwebte, entdeckte sie keinerlei Verband am Kopf oder an der Stirn. Dabei hatte sie die Platzwunde deutlich gesehen, die von

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