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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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der Kollision mit der Wand stammte. Das Knacken seiner Wirbelsäule oder eines anderen Knochens hallte leise in ihrer Erinnerung, aber Nadolny trug keine Korsage, keinen Stützverband, nichts dergleichen. Seine Bewegungen vollführte er geschmeidig, als käme er eben ausgeruht aus dem Urlaub auf einer Fitnessfarm. Und seine Augen … seine Augen glommen rot wie die des seltsamen Wolfs, den er fotografiert hatte! Sie wirkten wie LED-Lämpchen, in denen statt kaltem Licht Wut brannte.
    Er beugte sich drohend über sie. »Verräterin«, grollte er und schnappte nach ihr. Er … schnappte! Lena riss reflexartig den Kopf zurück und stieß heftig gegen die Couchlehne; Sterne blitzten vor ihren Augen auf. Sie hörte ihren Angreifer stöhnen, es krachte und knackte.
    Kaum sah sie wieder deutlicher, schrie sie vor Entsetzen.
    Nadolnys Gesicht hatte sich in eine abscheuliche Fratze verwandelt. Die menschlichen Züge mischten sich mit etwas anderem, etwas Gefährlichem. Rotbraunes Fell spross aus der Haut, in der sich formenden Schnauze standen spitze Reißzähne, Geifer troff vom knirschenden, zuckenden Unterkiefer, während sich der Gaumen schwarz färbte. Der Mann gab gurgelnde, keuchende Laute von sich, fast meinte Lena, den Ansatz eines Heulens vernommen zu haben. Dann schlug er mit beiden Armen zu.
    Nadolny traf sie gegen die Brust und im Gesicht. Die Wucht schob sie zwei Meter weit über den Teppich. Der Mann, der früher nicht einmal den Drehverschluss eines Konservenglases öffnen konnte, besaß plötzlich die Kraft eines Footballprofis.
    Du musst hier weg! Nur dieser eine Gedanke hämmerte durch Lenas Kopf. Ihr Gesicht brannte, wo es rau über die Auslegeware gerissen wurde. Weg! Schnell! Stöhnend kroch sie auf die Tür zu.
    Fauchend sprang er vor sie und versperrte den rettenden Ausgang. Er ging in die Hocke, packte ihre langen dunkelbraunen Haare und zog ihren Kopf zurück. Die andere Kralle bohrte sich durch die Jacke, den Pulli und das Unterhemd bis auf den Rücken. Lena schrie – weniger wegen der Schmerzen, sondern mehr wegen des Grauens und der schrecklichen roten Augen, die sie nicht länger ertrug.
    Die Tür flog auf. Lena erkannte durch ihre flatternden Lider ein paar weiße Lederstiefel mit Metallkappen, dann schwanden ihr die Sinne.
     
    Eric hatte ihn schon auf der Treppe gerochen. Das Rumpeln und die anderen Geräusche aus dem Zimmer ließen ihn ahnen, was sich gerade ereignete.
    Bevor er die Tür erreichte, zog er die P9 und machte sich bereit. Nadolny gehörte noch nicht lange zu den Wesen der Dunkelheit. Das bedeutete, dass er sich absolut wild gebärdete und keinerlei Kontrolle über sich besaß. Am Anfang waren sie alle so.
    Eric betrat das Zimmer und erfasste mit einem kurzen Blick, dass er nicht viel später hätte kommen dürfen. Ein sich verwandelnder Nadolny stand über Lena, vornüber gebeugt und fleischgierig, betrunken vom Geruch der Frau und der Vorfreude auf das warme Blut. Aus diesem Grund brauchte er zu lange, um auf die neue Bedrohung zu reagieren.
    Als er sich auf Eric stürzen wollte, war es zu spät. Die Sig Sauer hatte zwei Glaser-Geschosse gegen ihn gespien, die mit nur geringen Abweichungen voneinander mitten in seine Brust einschlugen. Die Wucht des Aufpralls stoppte ihn auf der Stelle. Nadolny gab ein Heulen von sich, ein lautes, erschrockenes Kreischen – und brach tot über Lena zusammen.
    Die Schüsse, das zischende Blut, das über sie lief, und das Zucken des sich verwandelnden Körpers weckten sie aus ihrer Bewusstlosigkeit. Schreiend wand sie sich unter dem Kadaver hervor, presste sich mit dem Rücken gegen die Wand. Ihr Blick war glasig.
    »Lena? Hören Sie mich?« Er streckte die Hand aus und berührte sie an der Schulter. »Wir müssen gehen! Wahrscheinlich ist die Polizei schon unterwegs, und glauben Sie mir, die werden zu viele Fragen stellen, die keiner von uns beantworten kann.«
    Sie zuckte zurück, die blutverschmierten Haare hingen ihr ins Gesicht und malten feine rote Linien auf ihre Haut. Sie stand unter Schock, nahm Eric gar nicht wahr.
    Jetzt war keine Zeit für angewandte Psychologie. »Tut mir Leid.« Eric ging vor ihr in die Hocke – und schlug zu. Lena sackte betäubt in sich zusammen.
    Er warf sie sich über die Schulter, nahm den aufgeschlitzten Koffer und rannte die Treppe hinab zum Hinterausgang, wo er den Cayenne geparkt hatte. Sie fuhren in dem Moment los, als die Polizei in die Straße bog, sie aber nicht bemerkte. Ab und zu hatte auch er

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