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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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klar, dass sie in ihren Sachen nirgendwo hingehen konnte, nicht einmal auf eine öffentliche Toilette, ohne der Polizei tausend Fragen beantworten zu müssen. Gerne ließ sie es zu, dass der Mann sie stützte. Das Haus, in das er sie führte, vermittelte ihr ein Gefühl von Sicherheit. Sie begann, sich ein wenig zu entspannen. »Verwandelt sich auch irgendetwas in ein freundliches, nettes Tier?«, fragte sie mit dem Anflug eines Lächelns. »Gibt es auch Wer-Meerschweinchen?«
    Eric lachte. »Das kann ich nicht sagen. Wenn es ein Wer-Meerschweinchen gibt, ist es bislang nicht negativ aufgefallen.« Er genoss es, dass sie lächelte. Dass sie ihn anlächelte. »Hoffentlich behalten Sie Ihre gute Laune, wenn ich den Schnitt desinfiziere.«
    Er brachte sie in eines der Gästezimmer. Sie streifte die Oberbekleidung ab und wandte sich um, ehe sie den Verschluss des BHs löste. »Nehmen Sie es als Zeichen meines Vertrauens, dass ich Ihnen den Rücken zudrehe«, sagte sie und hielt die Haare zur Seite. »Sie haben vorhin angedeutet, dass eines der Wesen keinen Fehler begeht?«
    »Damit ist es nun auch vorbei. Das Bild hat mich endlich auf seine Spur gebracht.« Er zog die Nachttischlampe zu sich und leuchtete auf die Wunde. Sie ging nicht tief, aber sie würde sich sicherlich entzünden, wenn er kein Jod darüber gab. Er brachte es nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass die Wunden, die ein Werwolf schlug, schlimme Narben hinterließen. Eine Schande, bei ihrem wundervollen Körper und ihrer weichen Haut. »Damit kann ich es endlich stellen.«
    »Klingt nach einer langen Vorgeschichte.«
    »Sie ist zweihundertvierzig Jahre alt.« Eric behandelte sie rasch, klebte ein wasserfestes Pflaster darüber. »Bei Gelegenheit erzähle ich sie Ihnen.«
    Er ließ sie allein, damit sie duschen konnte. Als Eric ihr etwas zu essen brachte, fand er sie schlafend vor. Leise ging er wieder.
     
    In dieser Nacht widerstand er dem Verlangen nach den Tropfen. Dafür entstand ein merkwürdig farbenfrohes Gemälde, das von allem abwich, was er in den letzten Jahren geschaffen hatte. Dimitri würde es nicht verkaufen können.

XIII.
KAPITEL
    5. Juni 1765, in der Umgebung von Saugues, S üdfrankreich
     
    Jean lenkte seine Schritte den Weg entlang in Richtung des großen Dorfs. Auf seinem Rücken trug er einen Rucksack. Darin befanden sich Pelze und Häute, die er auf dem Markt verkaufen wollte, um ein paar Livres zu machen. Das ständige Umherwandern, immer auf der Fährte der Bestie, ging an die Ressourcen. Er und seine Söhne mussten auch von etwas leben.
    Um ihn herum grünte das Gevaudan zwischen dem bleifarbenen Granit und erweckte auf einen unbedarften Menschen den Eindruck, es sei alles in schönster Ordnung. Doch Jean wusste von den letzten Angriffen Anfang des Monats, die einen Jungen und ein Mädchen das Leben gekostet hatten. Nichts war in Ordnung.
    Die Dennevals veranstalteten eine Jagd nach der anderen rund um die drei Berge Montchauvet, Montmouchet und Montgrand. Genau dort, wo Antoines und Pierres Heimat war. Und seine. Die Normannen ahnten etwas.
    Das war ein weiterer Grund, weswegen er Saugues lieber gemieden hätte: das Gerede. Nicht nur die Vielzahl der Menschen bescherte ihm Unruhe, auch die Blicke und das Getuschel hinter seinem Rücken. Sie würden sich anschauen und sich gegenseitig zuflüstern, dass der Sohn der Hexe wieder im Ort sei. Die Pelze und Häute kauften sie dennoch gerne von ihm. Es kostete ihn jedes Mal Überwindung, in das Dorf zu gehen, was er die Menschen jedoch nicht merken ließ. Für sie erschien er spröde und abweisend wie immer.
    Er passierte die ersten Häuser und folgte der Straße zum Markt. Dabei kam er an dem Haus der alten Yvette Chabrol vorbei, und er wunderte sich, dass ihre Tür weit offen stand. Yvette besaß einen ähnlich fragwürdigen Ruf wie er, weil sie etwas sonderbar geworden war. Niemand kannte ihr wahres Alter, aber solange Jean sich erinnern konnte, gab es Yvette. War sie achtzig Jahre? Neunzig?
    Jean blieb stehen und lauschte in das Haus, dann hörte er leises Stöhnen. »Madame?«, rief er fragend hinein, bekam aber keine Antwort. Rasch trat er ein, um nach der alten Frau zu sehen.
    Zu seinem Erstaunen fand er Äbtissin Gregoria in der kleinen Schlafstube an Yvettes Bett. Sie saß halb mit dem Rücken zu ihm und bemerkte ihn nicht. Sie wrang einen Lappen über einer Schüssel mit Wasser aus, dann wischte sie damit über die schweißnasse Stirn der alten Frau und half ihr, sich

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