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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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    Weiß sie etwas über den Werwolf, den ich jage?
    Ein ungeheuerlicher Verdacht befiel Jean. Er ging zum Fenster, von dem aus er den Kräutergarten überblickte. Als Wildhüter kannte er die Pflanzen, die im Wald wuchsen. Er versuchte sich daran zu erinnern, welche Kräuter die Äbtissin damals in ihrem Korb bei sich getragen hatte … und erkannte diese zu seiner Überraschung in den sorgsam gepflegten Beeten. Aber wenn sie in Saint Grégoire ausreichend vorhanden waren, wieso hatte sich Gregoria dann auf den beschwerlichen Weg in die Wildnis gemacht? Und noch dazu allein?
    Seine Gedankengänge wurden unterbrochen. Die Tür hinter ihm wurde geöffnet. Jean fuhr herum und sah Gregoria eintreten. Ihr Gesicht glänzte vor Schweiß, auf dem dunklen Habit zeigten sich tiefschwarze Flecken.
    »Seid gegrüßt, Monsieur Chastel.« Sie wusch sich die Hände in einer bereit stehenden Tonschüssel. »Ich komme vom Feld, das Unkraut musste in seine Schranken verwiesen werden. Der Herr allein weiß, warum er es dort gedeihen lässt, wo wir unsere Früchte anbauen.« Sie trocknete sich die Hände ab. »Mir scheint, Ihr seid etwas verwundert, Monsieur. Ora et labora heißt es in unserem Orden: Bete und arbeite. Das Herumsitzen und Däumchendrehen ist uns fremd.«
    Sie setzte sich an den Tisch, runzelte die Stirn, als sie sah, dass in ihrem Kalender der 1. Juni aufgeschlagen war, und packte ihn rasch in eine Schublade. Ohne dass sie es bemerkte, glitt ein schmutziger Zettel zu Boden und landete unter ihrem Stuhl. »Womit kann ich Euch helfen, Monsieur? Wenn Ihr die Bestie sucht, sie ist nicht hier.«
    »Seid Ihr sicher?« Die Antwort war herausgerutscht, bevor er es verhindern konnte; schnell zog Jean den Dreispitz vom Kopf, um von den Worten abzulenken. Trotzdem fiel ihm auf, dass Gregoria unmerklich zusammenzuckte; eine Hand legte sich an den Rosenkranz, den sie um den Hals trug. »Nein, ich bin nicht auf der Jagd. Es ist wegen Antoine. Ich wollte hören, ob er sich seit unserer Unterhaltung in Malzieu noch einmal sehen ließ.«
    Sie nickte freundlich. »Danke für Eure Sorge. Nein, ich habe ihn und seinen Hund nicht mehr gesehen. Ich bin sehr erleichtert darüber, und Florence hat glücklicherweise nichts von seinen heimlichen Annäherungen bemerkt. Es … es hätte sie sehr erschreckt.«
    Jean kam es so vor, als hätte sie etwas von ihrer Arroganz abgelegt. Nun war es an ihm, einen Schritt auf sie zuzugehen. »Ich wollte mich noch einmal für Euren Hinweis bedanken, was die Dennevals angeht.«
    »Ich denke, dass es richtig ist, dass Ihr davon erfahren habt. Wenn die Normannen Verdächtigungen hegen, sollen es diese offen vor Euch aussprechen und sich nicht wie Spione und Gauner benehmen.«
    Ihm fielen die Worte des Moldawiers bezüglich Florences ein. »Wenn wir gerade vom Fragen und der Offenheit sprechen: Woher kommt eigentlich Euer Mündel?«
    »Weshalb die Neugier, Monsieur?«
    »Meine Söhne sind ihr verfallen, wie es scheint. Habe ich nicht ein Recht, mehr über sie zu erfahren? Oder ist es ein Geheimnis?«
    Gregoria faltete die Hände. »Wir wissen es nicht. Sie lag eines Nachts in einem Korb vor unserem Tor«, sagte sie nach einer Weile. »Wir fanden nichts, was uns Aufschluss über ihre Herkunft gegeben hätte, aber der Beutel mit Goldmünzen und die regelmäßigen jährlichen Zahlungen, die das Kloster durch einen Boten erhält, schließen aus, dass es sich um einen Bauern handelte.« Die graubraunen Augen rangen ihm das stumme Versprechen ab, diese Auskunft nicht weiterzugeben.
    Er freute sich über das Vertrauen. »Ich verstehe.« Vermutlich war Florence also das uneheliche Kind eines Adligen, der keinen Mord an einem Neugeborenen begehen wollte und es lieber weggab.
    »Monsieur Chastel, wollt Ihr einen Moment Platz nehmen?«, schlug die Äbtissin vor. Er nickte und setzte sich ihr gegenüber, allerdings ohne dabei die Muskete abzustellen. Er hielt sie aufrecht, die Hand um den Schaft gelegt, wie ein König um sein Zepter.
    »Ich habe leider auch Euren Pierre nicht mehr in der Kapelle gesehen«, sagte Gregoria und bot ihm etwas Wasser an, das er dankend annahm. »Ich hatte das Gefühl, dass er Gott und der Kirche im Gegensatz zu Euch nicht ablehnend gegenübersteht. Habt Ihr ihm ins Gewissen geredet und ihm ebenfalls verboten, nach Saint Grégoire zu kommen? Das fände ich sehr schade. Gott hört Gebete in seinen Häusern gern.«
    »Gott?«, schnaubte Jean, dem das Gespräch eine zu christliche Wendung zu nehmen

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