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Ritus

Ritus

Titel: Ritus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Damit besitzen sie mehr Möglichkeiten zum Angriff und zur Verteidigung. Und unerfahrene Gegner lassen sich von dem Anblick gerne einschüchtern.«
    Lena nickte. »Oh, das kann ich verstehen! Ich dachte, mein Herz setzt aus, als ich das Biest vor mir sah.«
    Eric lächelte verständnisvoll. »Ich habe gestandene Männer in Ohnmacht fallen sehen, andere haben sich in die Hosen geschissen, und wieder andere wurden schlicht wahnsinnig.« Er erhob sich. »Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, Lena. Ich reise ab. Anatol hat Anweisung, Sie an jeden Ort zu bringen, an den Sie möchten.«
    »Und Sie?«, kam es sehr schnell über ihre Lippen.
    »Ich muss verreisen.«
    »Sie fliegen nach Plitvice, habe ich Recht?«
    »Nein«, log er ohne Skrupel.
    »Dann sollten Sie sich beeilen, bald dort zu sein.« Lena spülte den letzten Bissen mit Kaffee die Kehle hinunter. Es hatte etwas Entschlossenes. Sie trank den Schluck Kaffee wie andere einen Schnaps: Kopf in den Nacken und weg damit. Es war das symbolische Ausrufezeichen hinter ihren Worten. »Ich werde nämlich ebenfalls in den Nationalpark gehen. Bin gespannt, was ich alles entdecke.«
    »Das werden Sie sein lassen«, sagte er drohend. »Sie wissen genau, was in den Wäldern lebt.«
    Sie stand auf und drückte den Kragen des Morgenmantels dichter zusammen, um ihm nicht zu viel von ihrem Körper zu zeigen. »Sie haben Anatol aufgetragen, mich an jeden Ort zu bringen, an den ich möchte«, erinnerte sie ihn und lächelte kämpferisch. David zeigte Goliath die Zähne, und das, obwohl er keinen Stein dabei hatte. »Erstens bin ich Wolfsforscherin und Soziobiologin, Eric. Somit sind diese Wesen aus wissenschaftlicher Sicht hochgradig interessant. Zweitens bin ich beinahe wegen dieser Wesen von irgendeiner Gruppe, die sich der Werwölfe angenommen hat, erschossen worden. Das sind sehr gute Gründe, mich näher mit der Thematik zu beschäftigen. Es ist, als ob ich das Ungeheuer von Loch Ness entdeckt hätte. Wirklich entdeckt hätte!« Sie warf einen Blick auf die Zeichnung. Es war ein Gewirr aus kurzen Linien, die mal enger und mal weiter auseinander standen. Wie bei einem Nagelbild ergab sich ein Motiv: ihr Gesicht!
    Eric fragte sich bereits, ob es eine gute Idee gewesen war, Lena so sehr ins Vertrauen zu ziehen. Er hasste die Auswirkungen der ungewohnten Gefühle, sie machten zutraulich und blind; dabei kannte er sie überhaupt nicht. »Sie haben doch hoffentlich nicht vor, eine Abhandlung darüber zu schreiben?«, fragte er halb im Ernst.
    Sie ging an ihm vorbei zur Tür. »Was wäre so schlimm daran?«
    »Niemand würde Ihnen glauben. Sie würden Ihre Reputation verlieren.«
    »Ich besitze eine sehr gute Fotografie. Und wenn ich aus Plitvice zurückkomme, habe ich sicherlich noch mehr Beweise.«
    Erics Finger schlossen sich blitzartig um ihren Oberarm, und er riss Lena hart zurück. »Tun Sie das nicht.« Sein Gesicht wurde düsterer und lenkte alle Aufmerksamkeit auf seine Augen, die von innen zu leuchten schienen. »Es würde eine Katastrophe auslösen«, prophezeite er. »Einige Werwesen würden sich offen zeigen, sich verbünden, sich von irgendwelchen Spinnern verehren lassen; andere würden sich noch besser verstecken und ihre Helfer aussenden, ihre Macht benutzen. Die verängstigte Mehrheit der Menschen würde versuchen, alle Werwesen zu töten. Das wäre nichts anderes als eine Kriegserklärung. Und glauben Sie mir, die Werwesen würden sie annehmen – und die Menschen unterliegen.«
    Lena schaute auf seine Finger, die sich schmerzhaft um ihr Fleisch geschlossen hatten. Eine Eisenklammer konnte nicht fester halten. »Sie sehen viel zu schwarz, Eric.«
    »Nein. Es wäre das Ende der Menschheit.«
    »So viele Werwesen kann es nicht geben. Außerdem wurden sie im Mittelalter schon einmal stark dezimiert, wie Sie selbst sagten.« Sie wand sich. »Lassen Sie mich los. Sie tun mir weh.«
    Er dachte nicht daran, den Griff zu lösen. »Sie werden es sich nicht noch einmal gefallen lassen. Wir haben es hier nicht mehr mit wilden Hirten oder machtbesessenen Bürgern zu tun. Sie wären erstaunt, wenn Sie wüssten, wie viele Schwerverbrecher und Wirtschaftsbosse nur bei Vollmond ihr wahres Gesicht zeigen. Wie viele Politiker womöglich zu ihnen gehören. Die Werwesen waren nie mächtiger als heute. Aber wenn sie bedroht werden, übernimmt das Tier in ihnen die Kontrolle. Sie werden überall auf der Welt um sich beißen und das Virus ausbreiten, und bald wird es von ihnen nur so

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