Ritus
Auge die Züge von Lena an. Prompt ärgerte er sich. Ein weiterer Beweis dafür, dass er viel zu oft an die Wolfsforscherin dachte, von der er immer noch kaum etwas wusste.
Seine Gedanken wurden unterbrochen durch das Klingeln seines Handys, das sich inzwischen mit der Melodie der Biene Maja meldete. Wie immer, wenn Eric die Melodie hörte, musste er unwillkürlich grinsen. Etwas, was er in letzter Zeit viel zu selten tat.
Eric nahm das Gespräch an. »Ja?« Eines seiner fleißigen Bienchen überbrachte ihm lange erwartete Informationen.
»Hallo, Chef. Auf die Schnelle habe ich bislang wenig herausfinden können, aber ihre Version ihres bisherigen Lebens stimmt soweit.« Die Stimme gehörte einer Hackerin, deren persönliche Bekanntschaft er niemals gemacht hatte und auch nicht machen wollte. Es genügte, wenn sie für sein Geld alles tat, worum er sie bat. Legales und Illegales. Er bekam von ihr Lenas Wohnort genannt. »Es gab keine Polizeiakte über Magdalena Heruka, nicht einmal einen Eintrag in der Verkehrssünderdatei. Ihr Name tauchte bei verschiedenen Publikationen zu Wolfsverhalten auf, ebenso der Name eines Mannes mit ihrem Nachnamen. Vom Bild her schließe ich, dass es sich um ihren Vater handelt, ich prüfe es aber trotzdem. Wenn er es ist, kam er bei einem Brand in einer Holzhütte in Destruction Bay ums Leben. Das ist in Kanada. Die Mutter lebt in Berlin.«
»Sonst noch was?«
Die Hackerin lieferte ihm alle Informationen, die sie hatte, und was Eric besonders freute zu hören: Es gab keinen Hinweise auf einen Mann in Lenas Leben. »Der Posteingang des E-Mail-Kontos, das Sie mir gaben, war leer. Die letzte Nachricht stammt vom ersten November. Eine Auftragsbestätigung von einem Tiermagazin.«
»Gut. Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
Eric legte auf. Seine Augen wanderten zum Himmel und fanden den Mond, der sich jeden Abend ein Stückchen fetter gefressen zu haben schien. Die geliebten und gefürchteten Nächte der Wahrheit rückten heran, wenn die silberne Scheibe voll am Firmament stand. Die eiskalten Strahlen würden niederstoßen und die Bestien aus der menschlichen Haut fahren lassen, in der sie sich allzu gerne verbargen. Wölfe im Schafspelz. Es war die Zeit des Rausches, der Jagd – und des Todes. Denn der Jäger lauerte auf diese drei Nächte des Vollmonds, bewaffnet bis an die Zähne, ausgestattet mit Hochtechnologie-Silbergeschossen oder einem einfachen Silbermesser, je nach Zeit und Ort. Und mit Hundepfeifen. Denn die, das wusste Eric aus Erfahrung, eigneten sich hervorragend, um die Wolfwandelwesen besonders zu reizen.
Vor dem 25. November musste die Sache gelaufen sein. Er hatte keine Lust, sich bei Vollmond in einem einsamen Nationalpark aufzuhalten, in dem es von Braunbären, Wölfen und Luchsen nur so wimmelte. Wer wusste schon, wie viele Wandelwesen sich darunter befanden, außer dem, das sie suchten.
Eric schüttelte seine düsteren Gedanken ab und betrat die Apotheke, in der sich ein dicklicher Mann um die sechzig Jahre in einem weißen Kittel eben anschickte, die Abrechnungen zu machen. »Verstehen Sie mich, mein Herr?«, fragte Eric auf Englisch und erhielt ein freundliches Nicken. »Gut. Ich benötige Mittel gegen eine starke Grippe. Die Dame ist fünfundzwanzig Jahre, wiegt etwas weniger als siebzig Kilogramm und möchte am besten morgen wieder durch Budapest laufen und sich die Sehenswürdigkeiten betrachten.«
»Kein Problem!« Der Apotheker lachte. »Sie sind aus Oxford. Das höre ich an Ihrem Akzent.«
Eric ließ ihn in dem Glauben, dabei atmete er flach und bemühte sich, so wenig Luft wie möglich zu inhalieren. Der strenge Geruch, bestehend aus allen möglichen Substanzen der modernen Chemieheilkunde, traditionellen Salbeningredienzen und Teeschachteln, schlug ihm auf den Magen.
Der Mann türmte einen Verpackungsberg vor Eric auf. »Das müsste genügen.« In nahezu unleserlicher Schrift notierte er die Dosierung. »Bis morgen Nachmittag ist sie wieder fit, das verspreche ich.« Er hatte eine Hand auf die oberste Schachtel wie auf eine Bibel gelegt. »Ich kann doch nicht verantworten, dass Ihrer Frau unsere schöne Stadt entgeht.« Er tippte die Beträge in die Kasse, die ihm dann 53,98 Euro anzeigte. Anscheinend war man gut auf Touristen aus dem nahen Österreich vorbereitet. »Oder wollen Sie in britischen Pfund bezahlen?«, bot er an.
Eric gab ihm achtunddreißig Pfund und bekam als Dankeschön ein Stück Seife und ein Päckchen Taschentücher
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