Ritus
auch aus anderen Gründen.« Sie stand auf. »Ich wünsche dir und der kleinen Loupette bonne chance. Du wirst es benötigen. Gegen die Bestie und gegen den Orden.« Sie setzte die Mütze auf und ging ohne zu zahlen. Alles andere hätte Eric gewundert. Das nächste Mal würde er sie härter rannehmen, um mehr zu erfahren. Bislang blieb sie ein Rätsel, welches unverkennbare Züge seines Vaters trug. Er würde Anatol auf sie ansetzen.
Eric warf ein paar Scheine auf den Tisch und kehrte auf das Zimmer zurück, wo er zuerst nach Lena schaute. Die Tür zu ihrer gemeinsamen Unterkunft wies keine Kratzer oder andere Beschädigungen auf; demnach hatte Justine vorhin entweder geblufft oder sie war eine verdammt gute Einbrecherin.
Lena lag unter der doppelten Lage Bettdecken, die braunen Haare klebten verschwitzt auf der Stirn, aber die Temperatur, das fühlte er mit seiner Hand, war zurückgegangen.
Er setzte sich auf die Bettkante und packte leise die Medikamente aus, ordnete sie der Reihenfolge nach an und stellte eine große Karaffe Wasser samt Glas auf den Nachttisch.
Er dachte an den Orden des Lycáon, den sein Vater niemals erwähnt hatte. Eine Neugründung? Oder verbargen sie sich einfach gut genug? Steckte womöglich dieser rätselhafte Fauve dahinter? Beim nächsten Zusammentreffen würde er einen seiner Angreifer verhören. Eric beschloss daher, das Hotel nicht zu wechseln. Wenn die Amateure dumm genug waren, würden sie noch einmal versuchen, ihn zu töten.
Lena seufzte, drehte sich und streckte den Arm aus. Ihre Finger bekamen die seinen zu fassen und schlossen sich um sie.
Er blieb sitzen, betrachtete ihr entspanntes Gesicht, die nackte Schulter und den Brustansatz, der verführerisch unter der Decke hervorschaute. Durch das Schwitzen und die Wärme im Zimmer verstärkte sich der Eigengeruch der Frau zu einem betörenden Duft, dem er kaum widerstehen konnte.
Eric beugte sich langsam über sie und küsste sanft ihre Stirn. Er schmeckte das Salz, leckte es von seinen Lippen und richtete sich wieder auf. Weil sie ihn nicht losließ, blieb er auf dem Bett sitzen und hielt Wache.
XVII.
KAPITEL
16. August 1765, Saugues, S üdfrankreich
»Die Bestie ist eine Ausgeburt der Hölle!« Der fette Priester hatte die unangenehm helle Stimme erhoben, so dass ihn alle, die im Gasthaus saßen, hören mussten. »Der Herr steht uns gegen sie bei, aber erst, nachdem wir uns unserer Gottlosigkeit erinnert und für unsere Verfehlungen Buße getan haben.«
»Ah, nun wird es wieder lustig.« Malesky setzte sein Pincenez auf, um den Mann in der Robe eines Wanderpredigers besser betrachten zu können. Jean aß weiter, Antoine und Pierre richteten die Aufmerksamkeit auf den Sprecher. Der jüngere der Brüder grinste frech.
»Tut Buße, Schwestern und Brüder, betet, auf dass Ihr gehört werdet und Euch Gott der Herr verzeiht. Erst, wenn Ihr Euch reinen Herzens dem Kreuze zuwendet, wird die Bestie bezwungen werden können.« Der Priester reckte die Bibel in die Höhe und wanderte zwischen den Tischen umher. »Wahrlich, ich sage Euch, lasst ab von Sünde und Unreinheit, damit die Bestie von uns genommen wird.« Neben ein paar Kartenspielern blieb er stehen und fegte die Karten vom Tisch. »Glücksspiel ist Sünde! Und die Sünde lockt die Bestie an!«, keifte er.
Die Männer, die den Priester vor einem Jahr für das, was er gerade getan hatte, verprügelt und auf die Straße geworfen hätten, blieben wie brave Schuljungen sitzen und ließen die Rede über sich ergehen.
»Der Bischof hat öffentliche Gebete doch nur in den Kirchen angeordnet. Schickt er seine Handlanger nun auch in die Kneipen?« Jean spülte das Brot in seinem Mund mit einem Schluck Wein hinunter. »Was sagt Gott dazu, wenn man die Menschen mit Geschwätz gefügig machen will und ihre Ängste ausnutzt?«, sagte er laut und wischte sich den Mund mit der Hand ab.
Der Priester fuhr herum; wütend blitzten die Augen. »Bruder Chastel, der am Rand des Dorfs bei den wilden Tieren lebt und sich niemals in den Häusern des Herrn blicken lässt, gerade du«, sein aufgequollener Zeigefinger richtete sich anklagend auf ihn, »und deine verkommenen Söhne sollten beten! Kehrt zurück in den Schoß von Mutter Kirche und bekennt eure Sünden vor Gott, damit auch die finstersten Gewissen im Gevaudan hell und rein erstrahlen. Nur das Licht vertreibt die Bestie! Weder Kugel noch Messer nützen etwas.« Er walzte im Wiegeschritt zum Ausgang und öffnete die Tür. »Tut
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