Ritus
ihnen nicht geben. Hoffentlich verstanden sie seine Warnungen an ihren Kehlen, dass er ihnen Gnade gewährt hatte. Dieses Mal noch.
Er nahm die Medikamente und ging.
In der Hotellobby lauerte die nächste Überraschung. Sie trug dicke Winterkleidung, saß unübersehbar in dem kleinen Kávéház des Hotels, las in einer französischen Zeitung und schlürfte an einem Kaffee. Sie wollte von ihm gesehen werden. Als er eintrat, hob sie den Kopf und musterte ihn aus ihren braunen Augen.
»Bonsoir, mon frère.« Justine legte die Zeitung raschelnd und unordentlich zusammen. »Hast du alles bekommen, was du wolltest?« Sie steckte sich eine Zigarette an, während er auf sie zuging. »Du brauchst dich nicht zu beeilen. Die Kleine schläft, und Fieber hat sie auch keines mehr. Übrigens … merci, dass du mir die deutschen Bullen auf den Hals gehetzt hast.«
Eric wählte den Sessel vor ihr, um dem Rezeptionisten die Sicht zu nehmen. »Es scheint zum Sport geworden zu sein, mir zu folgen.«
»Ich wollte nur sehen, was du so eilig in Sankt Petersburg machst. Ich hatte Angst um meinen Anteil des Erbes.« Sie zwinkerte und blies ihm den Rauch entgegen, dann lachte sie leise. »Und was sehe ich? Mon dieu, du mischst den Orden mächtig auf. Kein Wunder, dass sie dich umbringen wollen.«
Der Orden? Er stellte die Tüte mit den Medikamenten ab. »Du kennst die Leute?«
»Was hat unser Vater dir eigentlich beigebracht? Wenn du besser recherchieren würdest, statt immer nur durch die Gegend zu hechten, dann würdest du sie auch kennen. Du bist mit dem Orden des Lycáon aneinander geraten.« Sie winkte den Kellner heran. »Was möchtest du? Ich lade dich ein.«
Eric bestellte ein Wasser ohne Kohlensäure und einen Tee. »Was ist das für eine Gesellschaft?«, fragte er, als sie wieder allein waren.
Seine Schwester lächelte wolfsartig, und das erinnerte ihn sowohl an seinen Vater als auch an sein eigenes Lächeln. »Sie sind das Gegenteil von dir, Eric. Du kennst die Lycáon-Sage?«
Er nickte.
»Bon. Ihrer Ansicht nach wurde Lycáon von Zeus nicht bestraft, sondern in ein höheres Wesen verwandelt. Alle seine Nachfahren sind somit göttlich.« Der Kellner näherte sich mit den Getränken, sie schwiegen und warteten, bis er wieder gegangen war. »Ich hatte schon mehrmals mit ihnen zu tun. Sie verehren die Loup-Garous, sie beschützen sie vor Jägern und streben danach, eines Tages selbst ein solches göttliches Wesen zu sein. Sie machen irgendein abstruses Ritual, bei dem sie entweder sterben oder zu einem Loup-Garou werden. Eine Art Zweikampf oder quelque chose comme ca.«
»Freiwillige?« Eric sog die Luft ein. »Scheiße, das hat mir noch gefehlt«, grummelte er und beschloss, den Worten seiner Stiefschwester vorerst zu trauen und sie später auf irgendeine Weise verifizieren zu lassen. Die Frage, wer sie ausgebildet hatte und wer ihr die Informationen besorgte, stellte er hinten an. »Was weißt du über sie?«
Justine zog die nächste Zigarette aus dem Etui, entzündete sie mit einem Streichholz und nahm einen Lungenzug. » Biensûre , ich weiß, es ist ungesund, ich könnte Lungen- und alle möglichen Sorten von Krebs bekommen«, meinte sie leichthin, als sie sein angewidertes Gesicht sah. »Nein, kann ich nicht. Kein Krebs für unsereins. Aber ich verschaffe dem Staat wenigstens Steuereinnahmen, ohne dem Gesundheitssystem zur Last zu fallen.«
Eric sah, dass die Zollbanderole auf der Packung fehlte. Schwarzmarktware. Es passte zu ihr. »Wo hat der Orden seinen Sitz?«
»Was denkst du wohl, mon frère ?«
»Es kann überall sein.«
»Tres bien.« Sie balancierte die Kippe im Mundwinkel. »Ich weiß wenig von ihnen. Oder besser gesagt«, sie stützte die Arme auf die Tischplatte und lehnte den Oberkörper nach vorne, »ich sage es dir nicht. Du möchtest kein Teamspieler sein, bien, ich werde dich nicht dazu zwingen. Such dir deine Informationen selbst. Aber ich wüsste, wie wir ins Geschäft kommen.« Grienend schaute sie ihm in die Augen, ihre Haltung war eine einzige Provokation.
»Ich habe es dir schon einmal gesagt: geldgeiles Miststück.« Eric blieb ruhig, auch wenn er sich sehr beherrschen musste.
»Bon, das bringt dir nicht viel.« Justine leerte ungehalten ihren Kaffee. »Ich gebe dir den Rat, nicht weiter auf der Spur von diesem Vieh zu bleiben, mon frère. Diese drei Männer waren seulement Amateure, aber die Experten des Ordens sind auf dem Weg. Das ist sicher. Ihr wollt die gleiche Beute, wenn
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