Rivalen der Liebe
in ihr Versteck herein.
Alles, was sie erkennen konnte, war die Silhouette eines Mannes. Dass es sich nur um einen Mann handeln konnte, wusste Julianna intuitiv, denn wer würde sie unter allen Umständen in einer kompromittierenden Situation ertappen wollen, wenn nicht der Mann, der Bescheid weiß? So sehr sie sich auch anstrengte, wenigstens sein Gesicht zu erkennen – es gelang ihr im Gegenlicht nicht.
»Oh, ich bitte vielmals um Entschuldigung für die Störung«, sagte der Eindringling aalglatt. Dem Schurken tat es nicht im Geringsten leid, sie zu kompromittieren, und das wussten sie alle. Mit diesen Worten verneigte der Eindringling sich knapp und schloss die Tür.
Roxbury wollte ihm nachsetzen. Offensichtlich war er fest entschlossen, den Mann zu jagen und niederzuschlagen. Also wollte er wieder eine hässliche Szene provozieren, über die die Gesellschaft sich dann jahrelang das Maul zerreißen konnte. Lord Skandal, in der Tat.
Lord toter Mann, dachte Julianna zornig und griff beherzt nach seinen Rockschößen.
»Julianna, das ist er! Der Mann, der Bescheid weiß«, rief Roxbury drängend und wollte sich losreißen, um dem Fremden nachsetzen. Doch sie hielt ihn am Jackett zurück.
Später würde noch genug Zeit bleiben, um sich ganz diesem Gefühl von Verrat und Herzschmerz hinzugeben – jetzt galt es zu handeln.
Hatte das auch zu den Schmerzen gehört, die Somerset ihr zugefügt hatte ?, fragte Julianna sich bitter. Nein. Tat es deshalb weniger weh ? Gott, nein. Aus unerfindlichen Gründen schmerzte es sogar noch viel schlimmer, weil sie sich noch ganz am Anfang einer jungen, verletzlichen Liebe befand.
»Liebling«, wiederholte Roxbury und machte einen Schritt nach hinten. Offensichtlich gab es Augenblicke, in denen er nicht ganz so dumm war. Unglücklicherweise war einer dieser Augenblicke jetzt und nicht vor fünf Minuten.
»Du bist ein schrecklicher Schauspieler«, sagte Julianna vernichtend und zog ihr Mieder zurück an Ort und Stelle.
»Julianna, ich kann das erklären«, beteuerte Roxbury und streckte die Hand aus, um ihr zu helfen, das Kleid wieder richtig in Form zu bringen. Das hielt sie aber nicht davon ab, ihm Vorhaltungen zu machen.
»Du hast meine Sorgen beiseitegewischt, dass uns jemand folgen könnte – dabei wusstest du ganz genau was los ist«, zischte sie wutentbrannt. »Oder du hast es zumindest erhofft. Trotzdem hast du mir eingeredet, dass es dumm von mir wäre, wenn ich dächte, uns verfolge jemand. Und dann hast du mich hergeführt, in diesen dunklen, abgeschiedenen Raum mit unverschlossener Tür. Du hast mich festgehalten, mich leidenschaftlich geküsst, du hast mit Absicht meine Haare und meine Kleidung durcheinandergebracht, und du hast mich nicht gehen lassen, obwohl ich jemanden kommen hörte …«
»Liebling …«
»Verzeih, Liebling , wenn ich glaube, dass du mir eine Falle gestellt hast«, sagte Julianna. Die Tränen brannten in ihren Augen, was eigentlich albern war. Sie weinte sonst nie.
»Julianna …« Roxbury wollte sie streicheln, aber sie trat einen Schritt zur Seite, um ihm auszuweichen. Auf einmal ergab Roxburys seltsames Verhalten einen Sinn.
» Dich bringt es richtig voran, wenn du mit einer Frau in einer kompromittierenden Situation erwischt wirst. Und dann auch noch mit deiner Frau«, sagte sie verbittert. »Der Mann, der Bescheid weiß, kann die Gerüchte über deine Neigungen ein für alle Mal zum Verstummen bringen. Die Lady mit Klasse kann das nicht.«
»Julianna …«, flüsterte er erneut ihren Namen.
Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. »Willst du es denn leugnen?«, fragte sie. »Denn die Beweise sind ziemlich erdrückend, wenn du mich fragst.«
Für einen Moment verstummten sie beide. Julianna biss sich auf die Zunge, damit er irgendetwas auf ihre Vorwürfe erwidern konnte. Idealerweise das, was sie hören wollte: dass ihr Verhalten lächerlich sei und sie eine Frau, mit der die Fantasie durchging. Dass sie schrecklich misstrauisch sei – zu misstrauisch – und ihm einfach vertrauen solle. Zum ersten Mal in ihrem Leben betete sie. Bitte sag mir, dass ich falsch liege.
» Die Wahrheit, Julianna«, sagte Roxbury leise, »ist, dass ich das für uns beide getan habe.«
»Für uns ?«, wiederholte sie still.
»Für dich, meine Ehefrau. Und für unsere Ehe. Damit wir beide in Ruhe gelassen werden und der Welt nicht ständig unsere Gefühle beweisen oder unsere Beziehung vor den zwielichtigen Schreiberlingen aus der Grub Street
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