Rivalen der Liebe
sie dieses bestgehütete Geheimnis in Erfahrung gebracht hatte. Aber dann war da noch ein kleiner Winkel ihres Herzens, der Roxbury zurückhaben wollte und der sich nicht im Geringsten um irgendwas anderes scherte.
Sie seufzte. Irgendwann kamen ihre Gedanken doch immer wieder auf Roxbury zurück. Es war inzwischen zwei Wochen her, seid sie zurück an den Bloomsbury Place gezogen war. Der Schmerz ließ nicht nach, wie sie insgeheim gehofft hatte – im Gegenteil: Juliannas Sehnsucht nach ihm war wie das Verlangen nach Wasser oder Luft – gerade so, als bräuchte sie ihn zum Überleben. Aber er hatte keinen weiteren Versuch unternommen, sie zurückzugewinnen, und sie selbst war immer noch zu stur, um zu ihm zu gehen.
Allmählich hasste Julianna sich dafür, dass sie immer so dickköpfig sein musste, aber alte Gewohnheiten ließen sich eben nur schwer austreiben. Darum erzählte sie dem Mann, der Bescheid weiß, dass sie verreisen würde, und hoffte inständig, das möge genau das Richtige sein, um Roxbury endlich zum Handeln zu bewegen und ihr zu folgen.
Die Dämmerung senkte sich bereits über London, als der Mann, der Bescheid weiß, seine Sprechstunde endlich beendete. Er verließ St. Bride’s und wandte sich nach Norden.
Julianna folgte ihm von der Fleet Street nach High Holborn. Sie wich dabei Fußgängern, Händlern, Pferden und Kutschen aus und verlor ihr Opfer dabei mehr als einmal fast aus den Augen. Aber da sie sich in der Hose viel besser bewegen konnte, brauchte sie sich meist nur etwas mehr zu beeilen und fiel nie allzu weit hinter ihn zurück.
Er betrat ein Kaffeehaus, das Griswold’s hieß. Julianna folgte ihm. Als sie den Raum jedoch nur wenige Schritte hinter ihm betrat, hatte sie ihn in dem dunklen, verrauchten und überfüllten Loch bereits aus den Augen verloren.
»Verflixt«, murmelte sie. Und dann: »Verflixt und zugenäht.«
Sie war schon zu weit gekommen, um ihn jetzt aus den Augen zu verlieren und einfach klein beizugeben. Also zog sie die Kappe tiefer in die Stirn, schlich möglichst unauffällig durch den Raum und schaute sich verstohlen um. Sie hatte nicht übel Lust, sich einen Platz zu suchen, Kaffee zu bestellen, eine Zigarre zu rauchen und dazu die Zeitung zu lesen …
Ein leises Lächeln umspielte Juliannas Lipen, als sie sich an ihre skandalöse Ausfahrt über die Rotten Row an Roxburys Seite erinnerte. Sie hatten darüber gelacht, wie es wohl wäre, wenn eine Frau in der Öffentlichkeit rauchte und ihre Knöchel unter dem Kleid hervorblitzen ließ. Das alles waren Dinge, die brave Ladys einfach nicht taten. Anständige Ladys verliebten sich auch nicht in Schwerenöter, obwohl sie es besser wussten. Aber genau das war ihr passiert.
Seit sie Roxbury geehelicht hatte, war sie alles andere als anständig, und dann hatte sie sich zu allem Überfluss auch noch in den Stein des Anstoßes verliebt.
Die Männer rings um sie plauderten über die Börsenkurse, über Pferde und Boxen und versäumten nicht, dämliche Wetten zu platzieren. Sie tranken. Sie rauchten. Sie spuckten aus. Hier war eindeutig kein Ort für eine Lady.
Aber ehe sie verschwand, schaute Julianna sich ein letztes Mal suchend nach ihrem Erzrivalen um. Es war zu dunkel, und zu viele Männer hatten sich schrecklich krumm hingesetzt und lümmelten teilweise noch mit Hut auf dem Kopf auf ihren Stühlen herum. Was für Manieren! Dann jedoch fiel ihr wieder ein, dass niemand ins Kaffeehaus ging, wenn er nach Gesellschaft mit guten Manieren suchte.
Sie bemerkte einen gewissen Gentleman nicht, bis es zu spät war.
Er packte diskret und entschlossen ihren Arm und drängte sie vorwärts. Niemand schien davon Notiz zu nehmen, geschweige denn sich darum zu scheren.
»Sir, was fällt Euch …!«, zischte Julianna leise. Auf keinen Fall durfte sie jetzt eine Szene provozieren, denn damit könnte sie sich verraten. Und das könnte sie erst recht in Schwierigkeiten bringen. Als wäre es nicht schon schlimm genug.
»Pssst!«, machte der Gentleman. Vielleicht sollte sie um Hilfe rufen, überlegte Julianna fieberhaft. Was war wohl schlimmer? In einem Kaffeehaus entführt oder entdeckt zu werden? Ihr Ruf hatte jedenfalls schon Schlimmeres überstanden.
Sie wirbelte herum und hoffte, so einen Blick auf ihren Entführer werfen zu können. Außerdem versuchte sie gleichzeitig, sich aus seinem Klammergriff zu lösen. Er hielt sie jedoch zu fest, als dass Julianna eine Chance gegen ihn hatte. Ihr Herz begann zu hämmern.
»Verdammt
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