Rivalen der Liebe
verkniff sich ein Hüsteln und beugte sich wieder interessiert über das Buch.
Da stand etwas über Lord Avanley und einen Regentropfen und dreitausend Pfund. Sie hätte so gerne mehr gewusst, aber Roxbury ragte störend und verwirrend über ihr auf und lehnte sich jetzt noch weiter herüber. Das lenkte sie ab.
Ihr war auf einmal schrecklich heiß. Das musste am Brandy liegen.
»Eins seid Ihr bestimmt: eine schreckliche Nervensäge«, erwiderte Julianna.
»Dasselbe könnte ich von Euch behaupten. Eine wahnsinnige Nervensage. Eine unglaubliche Plage. Ihr geht mir geradezu auf den S…«
»Dieses Gespräch langweilt mich, Roxbury«, knurrte sie.
»Ich hätte da vielleicht etwas, das Euch interessiert«, antwortete er und blätterte in dem Buch, bis er eine bestimmte Seite fand.
Die Gentlemen im White’s hatten eine Tabelle erstellt, in der die Ladys der besseren Gesellschaft nach ihrem Verstand, ihrer Schönheit, ihrer Empfindlichkeit und ihren Prinzipien geordnet waren.
»Ohhh«, seufzte Julianna höchst erfreut. Das war genau die Art von Tratsch, die ganz London in eine hitzige, lebhafte Debatte stürzen würde. Wenn über solche Neuigkeiten diskutiert und gestritten wurde, verkauften sich noch mehr Zeitungen. Wenn mehr Zeitungen verkauft wurden, war Knightly glücklich. Und sie musste ihm auf jeden Fall eine Freude machen, nachdem er ihretwegen angeschossen worden war.
Julianna war nicht überrascht, dass Lady Jersey in der Rubrik Schönheit ganz oben stand, aber in der Kategorie Prinzipien ganz weit unten. Oh, bestimmt bekam sie einen hysterischen Anfall, wenn sie das las! Jeder erzählte hinter vorgehaltener Hand davon, aber niemand wagte, es in ihren Kreisen laut auszusprechen. Im Gegenzug war Lady Melbourne für ihre Figur abgestraft worden (null Punkte), ihre Prinzipientreue war dafür jedoch sehr hoch bewertet (fünfzehn!).
»Glaubt Ihr, ihre Prinzipientreue ist deshalb so hoch bewertet, weil sie eine Figur hat, die jeden entmutigt, sie zu einem kleinen Fehltritt zu verführen?«, sprach Roxbury Juliannas eigenen gemeinen Gedanken aus.
»Das kann ich nicht sagen«, wich sie aus.
»Ich glaube, genau so ist es aber«, antwortete er und beugte sich sogar noch näher zu ihr. Es ärgerte sie, denn es war ihr sogar irgendwie angenehm, sich mit ihm über ein Buch voller Gerüchte auszulassen. Außerdem roch er so unverschämt gut, und das durfte ein Mann einfach nicht – nach Leder und Seife und Brandy …
»Wie würdet Ihr das hier auf einer Skala einordnen?«, fragte sie.
»Wenn man bedenkt, was für betrunkene Rüpel sie ersonnen haben, würde ich meinen, hierfür gibt es keine«, antwortete Roxbury lächelnd.
Hohe Werte für Lady Barrymore bezüglich ihres Verstands. Niedrige Werte für Lady Seftons Witz. Da musste sie zustimmen.
»Lady Stewart-Wortly bekommt ziemlich wenig Punkte für ihre Prinzipientreue«, bemerkte Julianna. »Wer hat das denn behauptet, dass sie wankelmütig sei?«
Roxbury zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, aber das ist schon interessant. Immerhin hat sie dieses Buch geschrieben«, sagte er. Sein Interesse schien geweckt, und Julianna musste ihm insgeheim zustimmen. Wer hätte gedacht, dass die Autorin von Lady Stewart-Wortlys Alltägliche Andachten für fromme und feine Damen nicht sonderlich standhaft war, wenn es um ihre eigenen Prinzipien ging?
»Ich frage mich, was dieser Jemand wohl über sie weiß«, überlegte Julianna laut. Das war definitiv eine Story, die sie nicht aus den Augen verlieren durfte.
»Da kann ich Euch leider nicht erleuchten. Sie ist eine der wenigen Frauen, die zu verführen ich nicht versucht habe«, bemerkte Roxbury, während er die Seiten überflog.
Julianna schaute beiseite. Er hatte ja auch nicht versucht, sie zu verführen, und es fühlte sich beschämend an, mit einer alternden und ständig predigenden Kuh wie Lady Stewart-Wortly in einen Topf geworfen zu werden. Und von dem Duke aussortiert zu werden. Als nicht wert, auf seiner Eroberungsliste zu stehen.
»Ich fürchte mich fast davor, meinen Namen hier zu entdecken«, flüsterte sie.
»Ich auch. Denn wenn Euch nicht gefällt, was Ihr dort geschrieben seht, werdet Ihr mich bestimmt dafür leiden lassen.«
»Und warum zeigt Ihr mir das dann?«, fragte sie gedämpft. Allein die Tatsache, dass er ihr nicht die Mütze vom Kopf gerissen und sie als Frau entlarvt hatte, war außergewöhnlich freundlich von Roxbury nach all dem, was ihr Artikel aus seinem gesellschaftlichen Leben
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