Rivalen der Liebe
er Lady Stewart-Wortly seine intimsten Gedanken mitteilen sollte.
Das ist nicht wahr!, wollte er ihr entgegenschleudern. Ich bin nicht der Sünder, den Ihr in mir seht.
Ich liebe Frauen … Ich liebe es, die Frauen zu lieben.
» So ein Verhalten ist gegen alles, was recht und heilig ist«, beharrte Lady Stewart-Wortly auf ihrer Position. Sie klammerte sich an seinen Arm, damit er ihr nicht einfach entwischen konnte.
Wieder schaute Roxbury sich suchend nach Julianna um – immerhin war diese ganze Szene in gewisser Weise ihre Schuld, und er wollte ihr nur zu gern sein Leid klagen. Am liebsten an einem dunklen Ort, wo sie ungestört waren und aus dem Geschimpfe sich schon bald etwas ähnlich Leidenschaftliches, wenngleich sehr viel Romantischeres ergeben könnte.
Nichts ist mir so heilig wie die Leidenschaft zwischen einem Mann und einer Frau.
Das war seine Religion. Das war der Altar, an dem er betete.
»Wir haben die Pflicht, der Verlockung zu entsagen und uns die flüchtigen Leidenschaften, die sie mit sich bringt, zu verkneifen«, beharrte die dröge Lady mit so tragender Stimme, dass die im Plauderton geführten, trivialen Unterhaltungen in der Nähe davon gestört wurden.
Das Leben ist aber nun mal zu kurz, um den wunderbaren, allzu menschlichen Leidenschaften zu entsagen! , wollte Roxbury ihr entgegenschleudern . Welcher Mann verzichtet schon gerne auf das Lächeln einer schönen Frau? Auf ihr Seufzen, wenn er sie an genau der richtigen Stelle berührt? Wer wacht nicht gerne mit dem Kopf einer Frau an der Brust auf? Wer liebt es nicht, sich schon morgens der Lust hinzugeben? Oder am Nachmittag, in der Nacht?
Und wer genießt nicht einen intimen, heimlichen Blick in einem Raum, in dem sich Fremde um einen drängen? Wer schwelgt nicht, wenn die Sinne geschärft sind, weil sich abzeichnet, dass gleich eine neue Liebesaffäre beginnen wird? Wer sehnt sich nicht nach der gefühlvollen Leidenschaft eines schönen, innigen und leidenschaftlichen Kusses mit einer Frau, der einen an den Rand des Vergessens treibt?
Roxbury war nicht sicher, auf welche Frau er gerade wütender war – auf Lady Somerset, die jene verhängnisvollen Zeilen verfasst hatte, die ihn aus seinem Himmel gestürzt hatten, oder auf Lady Stewart-Wortly, die ihn öffentlich für ein Verbrechen verantwortlich machen wollte, das er gar nicht begangen hatte. Und das alles nur, weil es ihrer eigenen Sache dienlich war, und zwar Gott, der christlichen Nächstenliebe und vor allem Lady Stewart-Wortlys Alltägliche Andachten für fromme und feine Damen.
Roxbury kippte den Rest seines Champagners mit einem großen, beinahe schon trotzigen Schluck herunter.
»Ich bete für Euer Seelenheil, Roxbury«, sagte Lady Stewart-Wortly sehr ernst, und ihr riesiger Busen hob und senkte sich bedeutsam dazu.
Ein Dutzend ziemlich unfeiner Gedanken ging ihm durch den Kopf. Letztlich war er der Ansicht, sie sollte ihre Gebete lieber für Dinge aufsparen, die wichtiger waren als nichtsnutzige, faule Draufgänger – hungernde Kinder und bettelarme Witwen zum Beispiel. Die Liste hätte er endlos weiterführen können, aber er beließ es erstmal dabei. Sie hatte ihren Standpunkt deutlich gemacht.
Während der Mann, der Bescheid weiß, mit einer jungen, schwatzhaften Debütantin tanzte, lauschte er, ob er irgendwas Nützliches für seine Kolumne aufschnappen konnte. Junge Mädchen wussten nie, was sie lieber für sich behalten sollten, und das traf besonders auf jene zu, die ihre erste Saison erlebten. Es war beinahe schon beleidigend, wie indiskret diese Mädchen sein konnten.
Lady Charlotte Brandon steckte voller unglaublicher Geschichten, aber keine von ihnen ging auch nur im Entferntesten in die Richtung jener Sensationsgeschichten, die er verifizieren und in seiner Kolumne erwähnen konnte. Also behielt er stattdessen Roxbury im Auge. Der arme Tropf war Lady Stewart-Wortly in die Hände gefallen und musste eine ihrer nervtötenden Tiraden über sich ergehen lassen. Er konnte nicht hören, was sie sagte, doch er sah ihre Haltung, die ihn an einen Prediger erinnerte, der sich in Rage geredet hatte. Während das Mädchen über eine gewisse Miss Millicent Strangle oder Strange oder so ähnlich plauderte, begann der Mann, der Bescheid weiß, in Gedanken bereits mit seiner nächsten Kolumne.
Bei einer Party wurde Lord R- dabei gesehen, wie er ziemlich tief ins Glas schaute, während er sich eine von Lady S- W-s Predigten gegen alle Ausschweifungen, Laster, Lust und
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